Liebe mit beschrankter Haftung
Augenblick erfasste mich die Erkenntnis, dass ich diesem wunderbaren Menschen, meinem allerliebsten Freund, nun das Herz würde brechen müssen. Seine Zunge noch immer in meinem Mund, suchte ich fieberhaft nach einer möglichst sanften Methode, ihm einen Korb zu geben, aber mir fiel beim besten Willen keine ein. Jemandem, der das letzte halbe Jahr mein Leben geteilt hatte und alles von mir wusste, konnte ich keine Lügen erzählen. Schließlich wusste er natürlich auch, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte als einen Freund. Also würde die Ausrede, dass ich mich im Moment lieber auf mein Studium konzentrieren wollte, nicht ziehen. Auch dass es weit und breit keinen anderen gab, an den ich mein Herz schon verschenkt haben könnte, wusste Daniel natürlich. Aber was sollte ich ihm sagen? Tut mir leid, ich stehe einfach nicht auf dich? Ich würde im Traum nicht auf die Idee kommen, mit dir etwas anzufangen? Daniels Zunge tastete sich jetzt weiter vor und auch wenn es sich nicht eklig anfühlte, so doch eindeutig falsch. Es war höchste Zeit, ihm Einhalt zu gebieten. Gerade wollte ich mich daranmachen, mich sanft aus seiner Umklammerung zu befreien, als seine Hand sich plötzlich unter meinen Pullover schob. Vor lauter Schreck vergaß ich alle Vorsätze bezüglich Sanftheit und stieß Daniel so heftig vor die Brust, dass er mehrere Schritte rückwärtstaumelte und schließlich auf dem Hosenboden landete. Entsetzt stürzte ich auf ihn zu, um ihm aufzuhelfen, aber er ignorierte meine ihm dargebotene Hand.
»Entschuldige, das wollte ich nicht, hast du dir wehgetan?«, fragte ich, aber sein verletzter Blick brachte mich zum Schweigen. Er rappelte sich auf und lief davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Es folgten zwei sehr traurige Wochen, in denen ich fest davon überzeugt war, ihn nie wieder zu sehen. Doch dann stand er eines Tages vor mir, ich wäre auf dem Campus beinahe mit ihm zusammengestoßen, weil es in Strömen regnete und ich mit meinem Schirm kämpfte, der sich durch den heftigen Wind umgestülpt hatte. Diesmal purzelte Daniel aber nicht nach hinten um, sondern stand unerschütterlich wie ein Baum vor mir. Unsicher blinzelte ich zu ihm hoch. Es tat so gut, ihn zu sehen, aber gleichzeitig hatte ich Angst. War er wütend? Würde er mich zur Schnecke machen, weil ich ihm falsche Hoffnungen gemacht hatte, indem ich ihn täglich angerufen und mit ihm sogar Pyjamapartys gefeiert hatte? Unter den geänderten Vorzeichen hatte ich ein ziemlich schlechtes Gewissen und Kati bestärkte mich sogar noch darin. »Mensch, Mia, glaubst du wirklich, du kannst mit ’nem Kerl in einem Bett schlafen, und er denkt nicht an Sex? In welcher Welt lebst du eigentlich?« Ich wollte Daniel sagen, dass es mir leidtat, dass ich unsensibel war, aber bevor ich noch den Mund öffnen konnte, hob er abwehrend die Hand.
»Lass mich bitte zuerst … Offensichtlich habe ich da was missverstanden.« Ich nickte und sah ihn zerknirscht an. »Schneewittchen, jetzt mach doch nicht so ein Gesicht. Du kannst ja nichts dafür, dass du so schön und bezaubernd bist, dass man gar nicht anders kann, als sich Hals über Kopf in dich zu verlieben.« Ich spürte, wie ich rot bis unter den Haaransatz wurde und wie mein Herz vor Freude zu klopfen begann. Das ist absurd, ich weiß. Aber es tut mir so gut, zu hören, dass ich geliebt werde. Selbst wenn es der Falsche ist. »Jedenfalls, entschuldige, wenn ich das Offensichtliche jetzt noch mal abfragen muss, dir geht es nicht so, oder?« Ich schüttelte den Kopf und biss mir auf die Unterlippe. »Und du kannst dir auch nicht vorstellen, dass sich das ändern wird?« Erneutes Kopfschütteln. »Na schön«, er seufzte schwer. »Damit muss ich mich wohl abfinden. Aber es wäre so schade, wenn es jetzt zwischen uns irgendwie anders werden würde. Wo wir doch so ein gutes Team sind. Als Freunde, meine ich. Findest du nicht?«
»Doch!«, sagte ich und ein riesiger Stein fiel mir vom Herzen.
»Könnten wir dann nicht einfach so tun, als wäre das nie passiert?« Mit gespielt ernstem Gesichtsausdruck sah ich ihn an und schüttelte langsam den Kopf.
»Das wäre vielleicht keine so gute Idee.«
»Aber warum denn nicht?«
»Ganz einfach«, ich knuffte ihn in die Seite, »dann versuchst du es ja noch mal.«
»Can’t blame a guy for trying«, sagte er mit einem breiten Grinsen und legte den Arm um mich. »Gehen wir in die Mensa?« Einträchtig liefen wir nebeneinanderher und ich sah ihn verstohlen von der Seite an.
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