Liebe oder so
eigentlich ganz egoistischer Natur war. Ich hatte einfach keine Lust auf noch mehr Probleme.
Dass ich trotzdem blieb, hing damit zusammen, dass ich in dieser Situation ein Gefühl der Solidarität für dieses blasse Mädchen empfand. Außerdem machten mich ihre roten Haare an, im Licht der Straßenlaterne sah sie aus wie eine traurige Medusa.
„ Ist Mario dein Freund?“, fragte ich, als sie sich wieder beruhigt hatte. Sie sah kurz zu mir rüber und nickte, während sie das Taschentuch in klitzekleine Fetzen riss.
„Ich würd dir ja gerne Mut machen, aber ich fürchte, dazu fehlt mir im Moment selbst der rechte Schwung.“
Sie schenkte mir einen schrägen Blick. „Du nimmst mich auf den Arm.“
„Nein, wirklich nicht. Warum sollte ich?“
„Jedenfalls ist das der blödeste Spruch seit langem.“
„Ja ja, schon gut“, meinte ich, „so etwas krieg ich ständig zu hören, ich bin halt nicht so wahnsinnig originell.“
„Das stimmt.“ Sie wischte sich die Augen mit dem Saum meiner Jacke trocken .
„ Dann sind wir uns ja einig. Hast du einen Namen?“
„ Silvia.“
„ Alex“, sagte ich und gab ihr die Hand. „Was willst du jetzt machen? Gehst du wieder rein?“
Sie schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich werd mir auch ein Taxi rufen.“
„Meins müsste gleich kommen. Ich kann dich mitnehmen, wenn du willst.“
„Nein, lass mal. “
„ Ist schon in Ordnung.“
„Wirklich?“, fragte sie.
„Ich würd’s dir sonst nicht vorschlagen. Außerdem haben sie mir am Telefon gesagt, sie seien wegen Sting total überlastet und ich solle froh sein, überhaupt ein Taxi zu kriegen.“
„ Sting?“
„Ja. Er gibt heut Abend ein Konzert in der Stadt.“ Ich wusste das, weil Christian gerne mit mir hingegangen wäre, Sting fehlte ihm noch in seiner Autogrammsammlung. Wegen einer Terminverschiebung würde Chris aber erst in einigen Wochen wieder nach Deutschland kommen. Ich war darüber nicht unglücklich gewesen. Stings aktueller Minnegesang war nicht so mein Ding, obwohl ich seine älteren Sachen durchaus mochte.
Wir verbrachten fünf weitere Minuten auf der Schwelle des Seiteneingangs. Irgendwann begann sie erneut zu weinen, und als sie sich gegen mich lehnte, wehrte ich mich nicht.
Das Taxi kam, um ein Haar hätten es uns ein paar Typen aus Helges Agentur weggeschnappt, die gerade die Party verließen.
„Was ist mit deiner Jacke?“, fragte ich Silvia. „Ich meine, du brauchst doch sicher deine Schlüssel, deine Tasche und so was?“
„Ich hab keine Tasche. Außerdem geh ich da nicht rein“, sagte sie vom Rücksitz aus mit einer Bestimm theit, die keinen Zweifel übrig ließ.
„Was ist nun?“, meinte der Typ hinterm Steuer. „Die Uhr läuft.“
„Okay, ich hol deine Jacke. - Und Sie bleiben hier stehen, bis ich wieder da bin!“
„Ist ja Ihr Geld “, brummte er. Ich ließ mir von Silvia die Jacke beschreiben und läutete bei Helge.
„Hey, dich kenn ich doch!“, rief er, als er die Tür öf fnete.
„Hab was vergessen“, sagte ich und zwängte mich an ihm vorbei.
„Wie sieht’s aus, trinkst du ein letztes Bier mit mir?“
„Nee, draußen wartet mein Taxi. Ich muss nur schnell ne Jacke finden.“
„Ich helf dir“, meinte Helge. „Wie sieht sie denn aus, deine Jacke?“
„Dunk elbraun mit nem Federkragen. - Ah, ich glaub, ich hab sie!“
„Gewagtes Design.“
„Man muss halt mit der Mode gehen“, sagte ich.
„Was ist mit meinem Chef?“, rief er mir nach.
„Keine Zeit mehr. Ein andermal.“
Draußen dieselte das Taxi vor sich hin und stieß N ebelwölkchen in die sternklare Nacht hinaus. Silvia hatte offenbar wieder geweint. Ich ließ sie in Ruhe und legte die Jacke zwischen uns auf die Rückbank.
„Wohin soll’s gehen?“, fragte der Fahrer.
Ich gab Silvia ein Zeichen, und sie nannte ihm ihre Adresse. Zum Glück gehörte der Typ zu den Schweigsamen, nur die Funksprüche aus der Leitzentrale nervten ein bisschen auf unserer Fahrt durch die verwaiste Stadt. Der Taxifahrer summte leise eine Melodie vor sich hin, ich betrachtete mir das Armaturenbrett, auf dem ein gerahmtes Familienfoto und daneben ein vergilbter Herr-der-Ringe -Sticker klebten.
I n dieser Ecke der Stadt war ich noch nicht sehr oft gewesen. Ich kannte hier keinen Menschen, außerdem bestand das ganze Viertel aus Einbahnstraßen und Sackgassen, ein echter Horror für jeden freiheitsliebenden Menschen. Sogar Kopfsteinpflaster gab es noch und alte Straßenbahnschienen, man hätte
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