Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe oder so

Liebe oder so

Titel: Liebe oder so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Montag
Vom Netzwerk:
herum. Ich fragte mich, ob ich nicht besser Mahler aufgelegt hätte. Meine Füße verschwanden längst in einem Berg aus Haaren, ich machte mir allmählich Sorgen.
    Schließlich lehnte sie sich gegen das Waschbecken und b etrachtete mich zufrieden.
    „Fertig“, sagte sie.
    Eilig hatte ich es nicht, mir das Ergebnis der Aktion vor Augen zu führen. Hinterher wusste ich auch, wieso. Der Kerl im Spiegel hatte jedenfalls kaum noch Ähnlichkeit mit mir, struppig standen Haarbüschel in alle Richtungen. Der Nacken roch nach Nazi, ich würde in Zukunft Acht geben müssen, welche Kundgebungen ich besuchte, der Verfassungsschutz hatte Typen wie mich auf dem Kieker.
    „Sag mal, hast du die Heckenschere genommen?“, rief ich in die Küche hinüber.
    „Jetzt beschwer dich bloß nicht“, meinte Carolin und kam zu mir ins Bad, „das wächst sich schnell aus, dann kannst du ja wieder zum Friseur gehen.“ Klirrend fiel die Schere ins Waschbecken. „Hier, kannste selber saubermachen – ich hab noch was vor.“
    Sie ließ mich mit den Haarbergen zurück . Ich fegte alles notdürftig zusammen und spülte es im Klo runter, ich wollte nichts mehr davon sehen. Den ganzen Sonntag über hatte ich versucht, aus ihr herauszubekommen, wie der Abend mit Armin gelaufen sei und wo sie die Nacht verbracht hatte, doch sie tat weiter geheimnisvoll. Vielleicht war es ja sogar besser so.
    Ich stieg in meine Jeans, um ein paar Sachen einzuka ufen. Gleich um die Ecke war ein Laden, aber mir war nach Ortsveränderung, ich trabte einfach mal drauflos. Es war unmöglich, die Konturen der Sonne auszumachen, trübe und wie durch Milchglas verbreitete sich ihr Licht über den Himmel. Direkt neben mir hielt ein Bus, ohne zu zögern stieg ich ein. Keine Ahnung, wo er hinfuhr, gut möglich, dass ich am Ende mit frischem Seelachs von der Küste heimkehrte.
    Die Stadt flimmerte an mir vorbei , und eine Gegend war trostloser als die andere. Überall sah man die gleichen gebückten Gestalten, dieser Winter ging allen an die Nieren. Ich schloss die Augen und zählte noch drei Stationen ab, ehe ich ausstieg. Die Ecke kannte ich nicht, obwohl ich in etwa wusste, wo ich war, so groß war die Stadt nun auch wieder nicht. Ein paar unrasierte Typen saßen mit Bier vor der Kirche, es gab die üblichen China-Imbisse und Videoläden. Gelegentlich stand ein Haus leer, die Tür mit Brettern vernagelt und mit Plakaten überklebt.
    Der Supermarkt war nicht schw er zu finden, ich folgte einfach den bunten Plastiktüten in entgegengesetzter Richtung. Was diese übergewichtigen Kleinfamilien wohl alles nach Hause schleppten? Ich kannte diesen Menschenschlag, die hatten allen nur erdenklichen Technik-Schnickschnack in der Wohnung. Spielekonsolen von der Cebit, MP4 und Videohandys. Weit voraus waren die mir, ich kam schon mit der Fernbedienung nicht klar.
    Natürlich übertrieb ich es wieder . Gut, der Wein war nicht wirklich notwendig, aber wenn ich schon mal da war, konnte ich ebensogut gleich Nägel mit Köpfen machen. Als sie meine Karte erblickte, schüttelte die Kassiererin den Kopf:
    „Wir nehmen nur Bargeld.“
    „Aber so viel hab ich nicht dabei“, sagte ich.
    „Dann tut’s m ir leid.“
    „Kann man da nichts machen – ausnahmsweise?“ Ich rang mir ein Lächeln ab, aber sie schien dafür nicht empfänglich zu sein.
    „Was ist nun – nehmen Sie die Sachen oder nicht?“, fragte sie unhöflich, aber weil das unwillige Gemurmel hinter mir lauter wurde, verzichtete ich auf weitere Diskussionen. Die Lage war demütigend genug.
    Ich ließ ihr schließlich den Wein da, warf dem Karton einen letzten wehmütigen Blick zu und schlich mit meinen Tüten aus dem Laden.
    Ein unglaublich fetter Kerl in einem elektrischen Rol lstuhl kam mir entgegen gerollt, irgendwo weiter hinten schraubten einige Halbstarke an einem Auto herum. Ich hatte es nicht eilig, gemächlich schlenderte ich in Richtung Bushaltestelle. Ein kleines Mädchen saß auf der Bank davor, ich beobachtete sie ein Weilchen, wie sie mit den Füßen schaukelte und leise ein Kinderlied sang.
    Plötzlich brach sie ab und sah zu mir hoch.
    „Hallo“, sagte ich.
    „Hallo“, murmelte sie und blickte wieder zu Boden. Vielleicht schüchterte sie mein Haarschnitt ein.
    „Was war das für ein Lied?“
    „Die Vogelhochzeit .“ Sie sah lustig aus, Sommersprossen, blaue Augen, ein blonder Haarschopf, die Mütze wollte kaum darauf halten. Bestimmt wurde sie von allen Tanten „Engelchen“ gerufen und hasste

Weitere Kostenlose Bücher