Liebe oder so
noch zusammen. Also ist sie bestimmt inzwischen schon im elften oder zwölften.“
Draußen rieselten winzige Schneeflocken in Zeitlupe zu Boden. In den letzten Tagen hatten derart angenehme Temperaturen geherrscht, dass ich mich dazu verstiegen hatte, den Gartenzaun neu zu streichen. Aber noch gab sich der Winter nicht geschlagen, er mobilisierte seine letzten Reserven und überzog den Himmel mit einer tadellos grauen Leinwand.
Ich parkte den Wagen und hielt den beiden die Tür auf. Auf dem Wohnzimmertisch lagen die gesammelten Drachenentwürfe, mit denen Chris und ich an den Start gehen würden. Während ich die Zeichnungen auf der Tischplatte ausbreitete, kochte Carolin uns einen Kaffee. Wir wollten uns eben an die Auswahl machen, als Marie in Jacke und Mütze vorbeirauschte.
„Wo willst du hin?“, fragte ich.
„Ich hab noch was vor“, kam es knapp zurück, dann war sie draußen.
Caro schenkte mir einen seltsamen Blick, aber ich hatte keine große Lust, darauf einzugehen. Gemeinsam widmeten wir uns wieder den Entwürfen und suchten für Christian und mich die jeweils vier besten aus, die wir mit unseren Namen versahen und in die Umschläge steckten. Diesmal würde es klappen, da war ich mir sicher. Ich war voll und ganz zufrieden mit unserem Werk.
40
Christian ließ sich nur selten blicken. Er war in diesen Wochen ständig irgendwo unterwegs, offiziell, um neue Aufträge für die Firma seines Vaters an Land zu ziehen, inoffiziell, um sich bei verschiedenen Unternehmen vorzustellen. Ich hatte nicht herausgefunden, wieso er eigentlich unbedingt nach Deutschland zurückkommen wollte, jetzt, da er das Mädchen aus New Jersey zu heiraten gedachte.
„Aber ich will ja gar nicht heiraten“, versicherte er mir, als das Gespräch mal wieder auf das Thema kam, „das hab ich dir doch schon erklärt.“
Vo r drei Wochen war er angekommen, und ich hatte geglaubt, er sei bloß erschöpft von der Arbeit und der langen Reise gewesen. Aber er wirkte noch immer ausgebrannt auf mich, ein Eindruck, der sich von Mal zu Mal zu bestätigen schien, wenn er vorbei schaute.
Ich hatte für uns beide Spaghetti gekocht . Uninspiriert stocherte er darin herum und nippte an dem Wein, der kurz vorm Umkippen war und den ich eigentlich nur noch zum Kochen benutzte. Carolin war in der Stadt unterwegs und Marie wer weiß wo, unser Leben fand immer noch keinen gemeinsamen Rhythmus.
Fürs Erste musste mir die Tatsache reichen, dass sie wirklich bei mir wohnte und am Ende jedes Tages hierher zurückkehrte. Sie kämpfte immer noch mit ihren inneren Dämonen, das spürte ich. Aber sie würde von sich aus auf mich zukommen, wenn die Zeit gekommen war und sie mir und vor allem sich selbst vertraute. Diese geduldige Haltung war meine Vorgabe an mich selbst, leider hielt ich mich nicht immer daran. Vielleicht hätte ich sie einfach zum Teufel jagen sollen.
Ich hatte Helges Vorschlag schließlich angenommen und Dutzende von Motiven für irgendwelche Icons entworfen, die er auf den Webseiten seiner Kunden installierte. Aber wenn Marie in der Nähe war, bekam ich keinen vernünftigen Strich hin, egal, ob sie die Küche auf den Kopf stellte oder halbnackt für die nächste Prüfung büffelte. Also nutzten wir die Zeit und vögelten uns durch die ganze Wohnung. Trieben es im Bad, auf dem Tisch, dem Boden, der Spüle, einfach überall. Es war uns einfach ein körperliches Bedürfnis wie etwa ein Glas Wasser trinken oder aufs Klo gehen.
Anfangs dachte ich, sie würde sich gegen jegliche Routine sträuben, weil sie mir ihre Unabhängigkeit beweisen wollte. Aber allmählich begriff ich, dass dies einfach ihre Art war, das Leben anzugehen. Wir kriegten uns deswegen fast täglich in die Wolle, wobei ich sie eigentlich um diesen Wesenszug beneidete. Ihre Anarchie führte mir meine eigene Angepasstheit vor Augen.
Manchmal v erschwand sie im T-Shirt, um fürs Mittagessen einen Salat zu besorgen, und kehrte um Mitternacht mit leeren Händen zurück, weil sie angeblich einem alten Freund begegnet und mit ihm um die Häuser gezogen war. Inzwischen hatte sie sich ein Handy zugelegt, aber das war nie eingeschaltet, wenn ich sie zu erreichen versuchte. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr, aber auch wenn mir die Sache nicht gefallen mochte, so spornte mich ihre Flatterhaftigkeit auch an, ihr alle Männer zu ersetzen.
Carolin hatte zwar ihre Sachen noch bei mir, schlief aber meist bei ihrem neuen Freund. Als Chris mich nach ihm fragte, musste ich
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