Liebe ohne Skrupel
den Feigen reichen, Sir Nicholas?«
»Natürlich.« Nicholas lächelte. »Erlaubt mir, eine Feige für Euch auszusuchen.« Statt ihr die Schale zu geben, griff er mit seinen kurzen Wurstfingern hinein und zog eine der getrockneten Früchte heraus. Er tauchte sie in einen Teller mit Zimt und Honig und hielt ihr den Leckerbissen an die Lippen.
Sie starrte auf den Dreck unter Nicholas' Fingernägeln und versuchte nachzudenken. Sie war sich bewußt, daß Gareth die kleine Szene genau verfolgte.
Die ganze Sache wurde allmählich einfach lächerlich, dachte Clare wütend. Dies hier war ihre Halle und sie war die Herrin über die Burg. Sie weigerte sich, sich einem dieser riesigen, anmaßenden Kerle zu unterwerfen.
Sie bedachte Nicholas mit einem kühlen Lächeln und nahm ihm die Feige aus der Hand. Dann legte sie die getrocknete Frucht auf ihren Teller, ohne auch nur einmal hineinzubeißen.
»Ich habe es mir anders überlegt. Ich glaube, ich habe heute abend genug gegessen.«
»Ihr enttäuscht mich, Mylady«, sagte Nicholas. »Als Ihr letzten Monat bei mir in Seabern wart, hattet Ihr einen wesentlich größeren Appetit.« Er machte eine Pause und sah sie lüstern an. »Und nicht nur auf Feigen.«
Cläre erschauderte. »Daran erinnere ich mich nicht.«
»Ah, aber ich«, fuhr Nicholas fort. »Wie sollte ich jemals die verführerischen Speisen vergessen, die wir geteilt haben? Ich gebe zu, am liebsten erinnere ich mich daran, wie zufrieden Ihr wart, daß es mir gelang, Euren Hunger zu stillen. Ich nehme doch an, daß Ihr Eure süße Zufriedenheit nicht vergessen habt?«
»Ihr beliebt zu scherzen, Sir Nicholas«, sagte Clare. Sie wurde von einer düsteren Vorahnung beschlichen. Irgendwie glitt ihr die ganze Sache aus der Hand. »Bitte hört sofort damit auf. Ich finde Eure Bemerkungen ganz und gar nicht amüsant.«
»Nein?« Nicholas sah sie an, aber es war offensichtlich, daß er eigentlich Gareth beobachtete. Er wog jedes seiner aufreizenden Worte sorgsam ab, setzte nach, suchte nach dem Punkt, an dem er seinen Gegner am besten träfe. »Das trifft mich tief, Madam. Denn ich meinerseits fand Euch äußerst unterhaltsam. In der Tat erwarte ich bereits sehnsüchtig Eure Rückkehr nach Seabern, damit wir dort erneut gegenseitig unseren Hunger stillen können.«
Die Bedeutung von Nicholas' Worten war allen klar. Joanna spielte nervös mit ihrem Löffel herum. Ulrich starrte zu Gareth hinüber und schwieg.
Gareth nahm sich eine Feige. Er sagte nichts.
»Es wäre mir lieb, wenn wir das Thema wechseln könnten.« Clare bemerkte, daß ihre Stimme schrill wurde.
»Aber ich möchte noch ein wenig in den Erinnerungen an unsere gemeinsamen Mahlzeiten schwelgen.» Nicholas nahm die honiggetränkte Feige, die Clare auf ihren Teller gelegt hatte. Er saugte genüßlich daran und dann schmatzte er zufrieden. »Sie waren etwas so herrliches.«
Gareth lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Lady Clare hat darum gebeten, daß wir über etwas anderes sprechen. Sie findet Eure Worte nicht sonderlich amüsant. Ebenso wenig wie ich.«
Nicholas lachte leise. »Glaubt Ihr, es würde mich interessieren, was Euch amüsiert oder nicht?«
»Es geht mir nicht um mich, sondern um die Wünsche der Lady. Und sie sollten auch Euch nicht vollkommen gleichgültig sein.«
Cläre sank das Herz bis in die Knie. Die Situation wurde immer gefährlicher. Vielleicht sollte sie den beiden Männern soviel zu trinken anbieten, daß sie irgendwann beide einschliefen. »Möchte einer der Herren vielleicht noch etwas Wein?«
Nicholas ignorierte ihre Frage. Er starrte Gareth mit zusammengekniffenen Augen an. »Glaubt Ihr, daß Ihr die Lady besser unterhalten könnt, als ich, Höllenhund von Wyckmere?«
»Ja.«
»Das ist wohl höchst unwahrscheinlich, wenn Ihr mich fragt. Warum sollte sie den Schlüssel zu ihrem Zimmer einem Bastard geben, nachdem sie bereits die Berührung eines wohlgeborenen Ritters kennengelernt hat?«
Schockiertes Schweigen senkte sich bleischwer über die gesamte Halle. Clare sah, daß Joanna die Augen vor Entsetzen über diese Beleidigung weit aufriß. Ulrich saß mit grimmiger Miene neben ihr.
Dallan fummelte an den Saiten seiner Laute herum. Er hörte auf zu spielen und sprang auf. Er blickte sich verzweifelt um, als suche er einen Platz, an dem er sich verstecken könnte.
Eadgar, der mit einer neuen Weinflasche kam, blieb mitten in der Tür stehen und blickte hilflos zu Clare hinüber.
Endlich fand Clare ihre Stimme wieder.
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