Liebe Unbekannte (German Edition)
gewesen und am frühen Nachmittag wieder weggegangen. Sie wisse nicht, wohin, sie, für ihren Teil, würde bald wahnsinnig werden und Kornél solle gehen, sie in Ruhe lassen, aus dem Leben ihrer Tochter und dem ihren verschwinden, er solle froh sein, so glimpflich davongekommen zu sein und er solle sich was schämen, dann sprach sie jedoch, während sie ihn hinauswarf, im Flur noch eine ganze Weile mit Kornél, denn sie hatte einen Redezwang und war nicht imstande, Kornél hinauszuwerfen, ohne ihm alles zu erzählen, was sie in diesem Augenblick über ihn, Emőke, sich selbst, die posttraumatische Neurose und das ganze verdammte Leben dachte.
Emőke Széles war währenddessen mit Emma Olbach zusammen. Sie hatte sie in der Tűzoltó Straße erreicht. Emma hatte sie allerdings gebeten, nicht in die Wohnung ihrer Mutter zu kommen, denn dort sei es im Augenblick nicht auszuhalten. So trafen sie sich im
Faktotum
, das von der juristischen Fakultät verhältnismäßig weit entfernt lag, und wohin die Studenten daher nur ihre dunkleren Geschichten schleppten. Emma war überrascht, aber dann konnte sie Emőke nichts anderes raten als bisher: Sie solle das Kind behalten. Es sei also ganz richtig gewesen, auf Patai zu hören.
Gleichzeitig verabschiedete sie sich innerlich endgültig von Kornél.
Dafür hatte sie tausend Gründe. Als sie ihm im Frühling zur Zeit des radioaktiven Regens begegnet war, hatte sie für einen Augenblick das Gefühl gehabt, die romantischen roten Pünktchen könnten sie und Kornél vielleicht sogar zusammenbringen. Es war wirklich schicksalshaft: Sogar die Stellen, an denen der Ausschlag auftrat, waren identisch. Linke Schläfe, linke Seite der Stirn, Kinn, rechter Nasenansatz und dann das Augenscheinlichste: die Nasenspitze. Emőke Széles war jedoch ihre Freundin, und zwar die Einzige. Deshalb mied Emma das Zusammentreffen mit Kornél bis zum Herbst. Außerdem verletzte es auch ein wenig ihren Stolz, dass Kornél seitdem nicht versucht hatte, mit ihr Kontakt aufzunehmen.
Eines schönen Tages im Herbst erzählte ihr Emőke völlig außer sich, dass sie schwanger sei und sich mit Kornél zerstritten habe, dass nun alles vorbei sei und sie, Emőke, an allem Schuld habe, Kornél könne gar nichts dafür. Emma tröstete sie, so gut sie nur konnte. Dann holte sie tief Luft und ging zu Kornél, um die beiden zu versöhnen. Kornél erzählte ihr das Gleiche: Emőke sei schwanger, sie hätten sich zerstritten, nun sei alles vorbei und er, Kornél, habe allein Schuld daran.
Emma überredete sie, sich zu einem Versöhnungsgespräch zu treffen, bei dem beide behaupteten, der andere habe an allem Schuld.
So vergingen einige Wochen. Emma war den ganzen Herbst über die
seelische Mutter
der beiden (Emőke nannte sie so), tröstete die wütenden Liebenden abwechselnd, jedoch mit ständig schlechtem Gewissen, denn der Status der
seelischen Mutter
schloss nicht völlig aus, Kornél zu küssen. Und auch nicht, lange Gespräche mit ihm zu führen. Kornél erzählte ihr von dem alten Professor, den er im Psychiatrischen Institut getroffen hatte, und der sich bis zu seinem plötzlichen Tod mit der Erforschung der
seelischen Immunschwäche
beschäftigt hatte.
„Und was ist das?“, fragte Emma, die aus anderer Quelle bereits viel über den Professor gehört hatte, über die
seelische Immunschwäche
jedoch noch nie.
„Das habe ich den alten Herrn auch gefragt“, sagte Kornél. „Er meinte, das sei die Liebe zwischen den Menschen.“
Emma argwöhnte, dass Kornél das erfunden habe, aber somit war das Thema angeschnitten. Kornél und sie konnten viel über die zwischenmenschliche Liebe reden. Auch über
die
Liebe. Emma war der Ansicht, man dürfe sich nur ausschließlich auf die vollkommene Liebe einlassen und dafür müsse man Entscheidungen treffen. Verstandesentscheidungen. „Was soll das sein, eine vollkommene Liebe?“ „Na, die, die ewig währt.“ „Natürlich gibt es die“, sagte Emma, „genauer gesagt, gibt es sie natürlich nicht.“ Kornél beobachtete sie mit spöttischem Gesichtsausdruck.
„Ich höre dir aufmerksam zu.“
„Also, ich meine eine Liebe, die bis zum Tod währt“, versuchte Emma den Widerspruch aufzulösen. „Die währt nicht ewig, ist trotzdem vollkommen.“
„Und wie ist eure? Wenn ich fragen darf.“
Emma lebte seit Monaten mit dem jungen Psychiater zusammen, der im Frühjahr noch im
Gut Durchbluteten Unterbauch
ein Lied gesungen hatte, und zwar mit einer unsäglichen,
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