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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Danach folgt eine halbe Stunde Depression. Dafür brauche ich jedoch keine Hilfe. Geh nach Hause.“
    „Ist es ein beschissenes Gefühl?“, fragte Emőke Széles.
    „Gegen Ende spürst du, dass es den Tod gibt. Nicht, dass du eines Tages sterben wirst, sondern, dass es ihn gibt. Du weißt es nicht nur, du spürst es auch. Emőke, bitte, geh jetzt endlich!“
    Emőke Széles sah sie teilnahmsvoll an.
    „Jetzt, wo du es sagst … ich habe so ein entsetzliches Leichengesicht in der
National Geographic
gesehen, das glaubst du gar nicht! Es muss ein total hübscher, junger Typ gewesen sein … Das erzähle ich dir noch, gut? Vielleicht hilft dir ja gerade das.“
    „Ich liebe dich“, sagte Emma lachend, unterdrückte dabei jedoch schon ihre Tränen. „Aber geh jetzt bitte. Geh und leide. Mir wird schon nichts passieren.“
    „Also gut“, sagte Emőke Széles und stand auf. „Aber pass auf dich auf, Schwesterherz. Ich rufe dich heute Abend an.“
    „Ich rufe dich an, aber geh endlich, geh, geh!“
    Und Emma blieb zurück, um abzuwarten, dass der Erinnerungsanfall vorüberging. Und um auf ihren Vater zu warten, der versprochen hatte herzukommen, wenn es ihm gelingen würde, aus der Küche in der Tűzoltó Straße zu entwischen, da es dort unmöglich sei, auch nur zwei Worte zu wechseln.
    Emőke Széles lief, durch Emmas Rat bekräftigt, vom
Faktotum
auf dem schnellsten Weg zur Bibliothek, zu Kornéls Eckkuppel, um ihm zuerst vorzulügen, dass sie abgetrieben habe und dann rasch klarzustellen, dass sie das Kind doch bekommen würde. Denn die Reihenfolge war entscheidend. Sie traf Kornél jedoch nicht zu Hause an. Sie fand nur Gábors Ultimatum, das er unter der Tür durchgesteckt hatte.
    Kornél stand immer noch bei Emőke im Flur und hörte Magda Feld zu, die bereits über ihre Kolleginnen in der Anwaltskanzlei schimpfte, über die Immobilienverwaltung und über die beschränkte Glaubensgemeinschaft, wobei ihr nur noch für Bruchteile von Sekunden einfiel, dass sie eigentlich gerade dabei war, Kornél hinauszuwerfen. Sie erzählte, dass sie und ihre Tochter einfach nicht miteinander auskämen, und sie ihre Tochter schon immer überbehütet habe, wofür sie auch guten Grund habe, darauf wolle sie jetzt jedoch nicht näher eingehen, denn das habe historische Gründe, und auch wenn Kornél ein kluger, gebildeter Mensch sei, könne er das sowieso nicht verstehen, denn er habe nicht diese Urangst in sich wie Emőke. Aber Kornél verstand: Dadurch, dass er Emőke in diese schlimme Lage gebracht hatte, wurde er nun indirekt für die Ermordung von sechs Millionen Menschen und das Versagen der christlichen Moral und Kultur verantwortlich gemacht. Und das kam ihm in dem Moment sehr gelegen, denn es ließ ihn für einige Augenblicke den Embryo vergessen, für dessen Ermordung er ganz persönlich mitverantwortlich war. Und Kornél gab Magda Feld mit einem Lächeln zu verstehen – denn zu Wort kam er nicht –, dass er sehr wohl verstehe, wovon sie sprach, zumindest wisse er, was es sei, was er nicht verstehen könne. Schließlich ging er, ohne sich zu verabschieden, er floh vor Magda Feld, als er jedoch zu Hause ankam, war Emőke bereits weg: Sie hatten sich verpasst. So kam es, dass Kornél die einsamste Nacht seines Lebens verbrachte und die Flasche Wodka leerte, aus der ursprünglich nur der Schluck gefehlt hatte, den Patai am Tag der Beerdigung seiner Frau getrunken hatte.
    Seitdem hatte Patai keinen Alkohol mehr getrunken, da er von diesem einen Schluck um ein Haar verrückt geworden wäre. Ihn überkam ein Gefühlssturm, den er kaum überstand. So etwas hatte er noch nie erlebt. Dabei hatten er und Klárika sich wirklich gehasst. Patai betrog sie, so oft er nur konnte, und Klárika war stolz auf seine Eroberungen, wobei Patai sich dessen nicht ganz sicher sein konnte: Klárika bezeichnete ihn, so oft sie nur konnte, als Rindvieh oder Idioten, und das war etwas, das nicht einmal Patai ignorieren konnte. Der Grund für diese Betitelungen war Patais langsames berufliches Vorankommen, denn mit so viel Verstand, wie er habe, könne er in diesem verdammten Land wirklich alles werden, stattdessen habe er ein Leben lang nur untalentierte Aufsteiger beim Aufbau ihrer eigenen Karriere unterstützt. Und Hochschuldozent, aber was bedeute das schon. Das sei ja keine Machtposition. Das sei gar nichts. Dort gable er nur seine Flittchen auf. Ganz zu schweigen vom Institut zur Herausgabe von Enzyklopädien, das schlimmer sei als eine

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