Liebe Unbekannte (German Edition)
ohnehin nicht zu vermeiden, dachten die jungen Menschen. Allerdings tröstete das Kornél kein bisschen. Er für seinen Teil war gescheitert.
„Geht es ihr gut?“
„Ja. Ihre Mutter hat sie gleich ins Bett gesteckt. Wenn Sie mich fragen, sollten Sie sie bis morgen früh nicht stören.“
„Ich frage Sie aber nicht.“
„Das kann ich auch verstehen.“
Patai sagte ihm die Wahrheit aus erzieherischen Gründen nicht, Kornél sollte ruhig ein bisschen im eigenen Saft schmoren. Aber dessen Verzweiflung war so aufrichtig, und die Stille im Raum plötzlich so groß, dass Patai einen Satz aussprach, mit dem er sich selbst überraschte, und Kornél noch viel mehr, und zwar so sehr, dass er von Patai aus schließlich wirklich nicht gleich zu Emőke Széles rannte, um sie zu wecken und zur Rechenschaft zu ziehen, sondern sich allein in seinem Zimmer betrank und die Nacht um ein Haar nicht überlebt hätte; zum Glück klopfte Emőke Széles am nächsten Morgen bei ihm, und vorübergehend wendete sich alles zum Guten.
„Wissen Sie was“, sagte Patai. „Vertrauen Sie auf Gott.“
Kornél blickte verdutzt auf, zuckte dann nur mit den Schultern, und Patai stand auf, um eine Flasche Cognac aus dem Schrank zu holen.
„Öffnen Sie Ihre Tasche“, sagte er und Kornél gehorchte. Patai stellte die Flasche in die Tasche und setzte sich wieder.
„Warten Sie, machen Sie sie noch nicht zu“, sagte er dann. „Ich habe noch eine.“
Er holte noch eine Flasche Wodka hervor. Aus dieser fehlte der Schluck, den Patai zwei Jahre zuvor, am Abend der Beerdigung seiner Frau getrunken hatte. Diese steckte er auch in Kornéls Aktentasche, Kornél nickte und machte die Tasche zu.
„Ich würde mich aber wirklich gerne ernsthaft mit Ihnen unterhalten.“
Kornél zuckte erneut mit den Schultern.
„Und wenn Sie mich doch nicht erwürgen sollten, können wir auch auf Fröhlicheres zu sprechen kommen.“
„Ich habe mich entschuldigt“, sagte Kornél gereizt.
„Haben Sie eine halbe Stunde?“
Kornél zuckte abermals mit den Schultern.
„Hören Sie zu“, begann Patai. „Die Sache ist die: Ich befinde mich seit einiger Zeit auf dem besten Weg, irre zu werden. Bevor es jedoch endgültig dazu kommt, möchte ich noch einiges regeln. Und Sie sind derjenige, der mir dabei behilflich sein könnte. Ich gehe am 1. Januar in Rente. Es ist an der Zeit. Aber ich werde nicht bis zum 1. Januar warten, sondern mich vorher krankschreiben lassen.“
Patai empfand für Kornél etwas wie väterliche Liebe. Er hatte mehrere triftige Gründe gehabt, ihn im Laufe der vergangenen Monate für diesen Zweck auszuwählen. Seine väterliche Liebe schloss jedoch nicht aus, dass er Kornél eine gehörige Lektion erteilen wollte. Ganz im Gegenteil, denn väterliche Liebe ist nämlich gerade so ein zweischneidiges Schwert.
Die Vorbereitungen zu der Lektion hatte er am Tag zuvor getroffen, ebenfalls hier, in seinem Arbeitszimmer, mit Emőke Széles auf der anderen Seite des Schreibtisches.
„Hören Sie mal her, meine Liebste“, sagte er zu ihr. „Wenn Sie das Kind von diesem Niemand unbedingt behalten wollen, dann habe ich eine sehr einfache Lösung für Sie: Ich habe da einen uralten, über eine wandelfähige Seele verfügenden Gynäkologen. Damals, als ich noch jung und stürmisch war, ließ ich viele Kinder von ihm wegmachen. Er ist irgendwo zwischen siebzig und dem Tod, aber das sieht man ihm nicht an. Er wiegt hundertzwanzig Kilo, hat eine Stimme wie eine Bosch-Hupe, als sein Assistenzarzt ihm gegenüber einmal die Rente erwähnte, schickte er diesen so zur Hölle, dass die Fotografie des Krankenhausgebäudes von der Wand fiel, und der Assistenzarzt ein halbes Jahr später an einem Herzinfarkt starb. Der Kerl wird also noch mit Hundert nach Kindern kramen, um mich vulgär auszudrücken, aber das mögen Sie ja. Am Vormittag macht er die Geburten und in den frühen Morgenstunden die Abtreibungen. Er hat eine legale Krankenhauspraxis. Nun, wenn ich die Sache mit ihm bespreche, wird er sich ohne weiteres dazu bereit erklären, Ihnen durch einen Befundbericht zu bestätigen, dass er den entsprechenden Eingriff an Ihnen vorgenommen hat. Auf dem Schreiben wird kein einziger Krankenhausstempel fehlen. Er würde das für mich machen, denn wir verstehen uns gut, uns verbindet ein langes Arbeitsverhältnis, ja, vierzig Jahre ist es her, als er zum ersten Mal … aber wenn Sie mich nicht erröten sehen wollen, dann bitten Sie mich nicht, ins Detail zu
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