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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Sterbestation.
    Klárika wollte einfach nicht verstehen, dass Patai in seinem Leben so viele Personen zu Minderwertigkeitskomplexen verholfen hatte, dass er dadurch einen kleineren lokalen Krieg hätte ausbrechen lassen können (das versuchte er ihr manchmal zu erklären, Klárika verfügte jedoch über keinerlei Humor), daher segnete Klárika das Zeitliche in dem sicheren Bewusstsein, ihr Mann sei der größte Versager gewesen. Aber auf der Beerdigung wendete sich das Blatt, denn niemand von ihren Bekannten war gekommen, die Anwesenden gehörten ausschließlich zu Patais Kreis: Studenten, Feinde, Kollegen, Frauen, Frauen, Frauen und ein paar Ehemänner. Verwandte hatte sie nicht gehabt und von ihren Kolleginnen aus der Fachbereichsverwaltung war niemand gekommen. Die Polizei des VI. Bezirks schickte einen Kranz; Klárika war drei Jahrzehnte zuvor, nach einem Nervenzusammenbruch (während der Revolution war sie beinah gelyncht worden, dabei klebte kein Blut an ihren Händen, sie war nur die Sekretärin eines hochrangigen Sadisten gewesen) von hier aus in die Fachbereichsverwaltung der Hochschule versetzt worden. Die Hochschule jedoch hatte niemanden offiziell zu der Beerdigung geschickt. Patai rief am Nachmittag dort an.
    „Oh, Herr Patai, weshalb haben Sie denn nicht eher Bescheid gesagt? Tünde wäre ja hingegangen, aber ihr Kind ist krank geworden. Hat der Kranz sehr gefehlt?“
    „Ach was“, sagte Patai. „Die alte Schlampe ist auch ohne Tünde ganz gut klargekommen.“
    Als er den Hörer auflegte und den Schluck aus der Wodkaflasche trank, gut, dann zieh ich die restliche Zeit eben allein durch, wurde er von einer Welle von Mitleid für Klárika erfasst. Es war wie eine echte Welle, als würde Wasser die Fenster und Türen eindrücken und das Zimmer überfluten. So überkam ihn das Mitleid und es war unmöglich, ihm zu entkommen. Er verfügte zumindest noch über so viel Geistesgegenwart, dass er es gar nicht erst versuchte, Widerstand zu leisten, da er wusste, dass er dann ganz sicher zusammenbrechen würde. Das Einzige, was man in so einem Fall tun kann, ist, nicht gegen das Mitleid anzukämpfen, sondern am ganzen Leib zitternd zu weinen, sich dem Mitleid ganz zu überlassen, solle es mit einem machen, was es wolle, und genau das tat Patai, er warf sich zu Boden und schluchzte, so sehr tat Klárika ihm leid, und mit ihr die ganze dunkle und verwaiste Fauna auf dem Planeten namens Erde, die einst auch er hatte erlösen wollen, schließlich hatte er sein Leben als Denker begonnen.
    Von dem Tag an zog er sich in die Bibliothek zurück. Und trank nie wieder auch nur einen Schluck. Denn dieses Mitleid kann man nur nüchtern ertragen. Wenn man es überhaupt ertragen kann.
    Emőke Széles erfuhr am Abend von ihrer Mutter, dass Kornél bei ihr gewesen war, also bereits von der Abtreibung wusste. Es fiel ihr schwer, bis zum nächsten Morgen zu warten, aber sie beherrschte sich (sollte Kornél ruhig leiden, dadurch würde die Wahrheit erst richtig ihre Wirkung entfalten können). Die Zeit bis zum Morgen verbrachte sie damit, stundenlang mit Emma zu telefonieren. Am nächsten Morgen lief sie wieder in die Bibliothek und teilte dem völlig übermüdeten, stockbetrunkenen und halb erfrorenen Bewohner der Eckkuppel mit, dass es doch keine Abtreibung gegeben habe. Sie habe das Kind behalten. Und Kornél müsse das wissen, sie wolle ihn nicht anlügen. Und wenn Kornél es noch immer wolle, würde sie abtreiben lassen. Jetzt sei es noch möglich. Jetzt sei sowieso schon alles egal. Egal, wie man es drehe, es sei einfach alles völlig beschissen.
    „Versuch es nur, du Bestie!“, brüllte Kornél, denn wie Gábor es später ganz profan formulierte, fiel ihm ein so großer Stein vom Herzen, dass er ihm hätte den Fuß brechen können.
    Danach bedachte er Emőke Széles mit weiteren hässlichen Attributen, hob sie schließlich hoch und rannte mit ihr durchs ganze Zimmer. Sie lachten und weinten und schliefen miteinander. Sie weinten und lachten wieder. Und schliefen wieder miteinander (oder versuchten es zumindest). Und so begann die Geschichte einer weiteren Ehe, in der sich alles nach außen richtete, mit Ausnahme der Kinder und des künftigen gemeinsamen Grabsteins.
    Nach diesen Ereignissen klopfte Tabaki mit einem vollgekritzelten Blatt Papier bei Kornél an die Tür.
    „Du hast gesagt, dass ich beschissenere Texte schreiben soll, da hast du sie, Alter, kannst du lesen. Aber eigentlich brauche ich jetzt nicht dich,

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