Liebe Unbekannte (German Edition)
wir sollten das Fenster schließen, weil ihr Mann sich sonst erkälte. Also Kornél, der nur Unterhosen trug. Man konnte ihn jedoch nicht zudecken, denn zwei Personen malten auf seinen Rücken, ein Künstler und eine Künstlerin. Mit seiner Pastellkreide. Als wir ankamen, war sein Rücken schon beinah vollständig bedeckt, vor allem mit astrologischen Darstellungen, aber das Hauptmotiv, eine Savannen-Szene, entstand gerade in der Mitte: Ein totes Löwenmännchen, das von Hyänen zerrissen wurde. Der Künstler war im Zeichen der Waage geboren und auf Kornél seit Langem neidisch. Jetzt nutzte er mit großer Begeisterung die hervorragende Gelegenheit, sich für eine spöttische Bemerkung zu rächen, die Kornél bei einer Fete einmal über ihn hatte fallen lassen, als er in seinem eigenen Dreck lag. Er bestimmte, wie viele Hyänen sich auf Kornéls Rücken tummeln sollten, und die Künstlerin verwirklichte seine Vision. Sie lachten viel bei der Arbeit. Es war noch ein dritter Kunsthochschulstudent bei ihnen, dieser legte Kornéls Platten auf, machte Fotos vom entstehenden Gemälde, redete ununterbrochen und versorgte dabei die beiden Künstler und sich selbst mit Wodka und Bier, auf gesonderte Anfrage auch die anderen.
Dieser Teil der kleinen Gesellschaft war zweifellos aus den hinter der westlichen Fassade versteckten Tiefen in Kornéls Zimmer hinaufgespien worden. Das sah sogar ich, obwohl ich noch nie dort unten gewesen war. Was Gábor für mehrere Sekunden verstummen ließ, war Kornél selbst.
Denn Kornél lachte. Er war Bacchus. Er war nicht mehr besinnungslos, aber bewegen konnte er sich noch nicht. Durch seine Kenntnisse im Bereich der Anthropologie wusste er, was gerade mit ihm geschah, nämlich, dass er symbolisch besiegt, geopfert, ermordet, von seinem Thron gestoßen wurde. Jeder beneidete Kornél um die Eckkuppel. Er hatte für das Ganze jedoch nicht mehr als ein Grinsen übrig. Er grinste genauso dümmlich und nachsichtig, wie es Bacchus in einem ähnlichen Fall getan hätte.
Es gab kaum Möbel in dem Zimmer, was ja nur verständlich war, da Kornél jederzeit hinausgeworfen werden konnte. Irgendwo hinter dem Rauch musste sich auf jeden Fall eine Tür befinden. Auf dem Teppich neben der Matratze saßen Brüll, der Gitarrist, und Tabaki. Brülls Gitarre war an die Lautsprecher des Kassettenrekorders angeschlossen, vor Tabaki stand der kleine Casio-Synthesizer. Er war so groß wie ein Iltis. Tabaki nannte ihn auch so.
Die achte Person passte nicht in dieses Zimmer. Es war Elemér. Er lief mit einer Pappschachtel durchs Gebäude, in der eine Menge Zettel waren, auf denen jeweils der Name eines Bibliotheksmitarbeiters stand. Seine Aufgabe war, jeden Bibliotheksmitarbeiter den Namen eines anderen Bibliotheksmitarbeiters ziehen zu lassen. Und die Aufgabe des Ziehenden war, sich bis zum Nikolausball am Abend etwas auszudenken, was er dem Gezogenen wünschen wollte und ihm dieses dann auch zu sagen. Es würde der Reihe nach jeder ans Mikrofon kommen, sagen, was er dem anderen wünsche, dieser würde auch zum Mikrofon kommen, sie würden sich einen Kuss auf die Wange geben, der eine würde zu seinem Platz zurückkehren und der andere seinen eigenen Wunsch an eine dritte Person ins Mikrofon sprechen. Und so weiter, hatten die Frauen von unten Elemér die Sache erklärt, denn das hatten sie sich am Morgen ausgedacht, damit der Ball nicht ganz so trostlos wurde. So kam es, dass Elemér jetzt in der Eckkuppel war und mit dem ihm angeborenen Wohlwollen versuchte, die Lage zu deuten, jedoch nur bis zu einem sanften Kopfschütteln kam.
„Ich verstehe nur nicht, warum sie nicht heute Abend feiern? Da gibt es doch sowieso eine Feier“, sagte er. „Wieso nicht dann?“
An diesem Ort hatte ich nicht mit Elemér gerechnet, dabei war ich seit dem Abend zuvor auf ein Treffen mit ihm gefasst. Er war jedoch auch überrascht, als ich durchs Fenster gestiegen kam. Er war noch nicht so weit, um entscheiden zu können, was er mit mir anfangen wollte. Und die Sache mit dem Ziehen der Zettel musste ja zuerst auch noch erledigt werden.
„Gáborkind!“, krächzte Emőke Széles. „Wie gut, dass du hier bist. Wir feiern gerade!“
„Wir feiern einen Scheißdreck!“, brüllte Tabaki. „Ranklotzen ist angesagt! Wer kein Musiker ist, soll die Fliege machen! Macht das Fenster zu! Der Rauch kommt zurück.“
Tabaki war von allen am meisten außer sich. Er war jetzt alles, was er sonst nicht war. Treiber und Manager. Und gerade
Weitere Kostenlose Bücher