Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
Vom Netzwerk:
die er mit Kornél geteilt hatte. Ja, diese Welt gab es schon lange nicht mehr! Vielleicht hatte es sie schon nicht mehr gegeben, als er in Tapolca gewesen war. Vielleicht auch nie. Es ist alles vorbei, dachte Gábor. Kornél war nicht mehr sein Freund. Er hatte schon immer Geheimnisse vor ihm gehabt. Das waren also seine Geheimnisse gewesen! Denn in seinem Kopf hatte Kornél das Ganze, was Gábor jetzt hier sah, bestimmt bereits seit Langem vorbereitet. Diese leere Satansfeier. Das ging Gábor durch den Kopf und dann hörte er seine eigene Stimme:
    „Mach dir nichts draus, alter Junge.“
    Das hatte er leise zu Kornél gesagt. Und ihm dabei über den Kopf gestrichen. Diesen Ausdruck,
alter Junge
, verwendete damals niemand. Er war aus der Mode. Und zu Kornél passte er erst recht nicht. Gábor war selbst überrascht, weshalb er gerade das gesagt hatte. Dabei war die Sache einfach, ich, der ich dort im Hintergrund stand, verstand es auch gleich, denn auch ich hatte im Lagerraum Frazers anthropologisches Standardwerk
Der goldene Zweig
gelesen. Ja, Gábor hatte mit diesem Satz ebenfalls einen symbolischen Mord begangen: Kornél als alten Jungen zu bezeichnen, war, als würde er ihm etwas geringschätzig auf die Schulter klopfen, als würde er sagen, ich stehe hier über dir, du liegst auf dem Boden, ich hüpfe auf deinem Leichnam herum und könnte mit dir machen, was ich will. Ich nenne dich einen
alten Jungen
. Du hast mich gestern
Mäuschen
genannt und ich dich jetzt
alter Junge
. Und du, alter Junge, kannst nichts dagegen tun.
    „Du kannst mich mal …“, sagte Kornél grinsend, denn er verstand genau, was der
alte Junge
bedeutete, und signalisierte damit, dass er nichts dagegen einzuwenden hatte. Er verstehe Gábor, wisse auch, was in ihm vorgegangen sei, nun solle Gábor ihn jedoch endlich schlafen lassen. Und dadurch verstand auch Gábor, was er mit dem
alten Jungen
gesagt hatte. Was der Ausdruck alles beinhaltet hatte. Aber auch, dass die Sache nach den Regeln der Ritterlichkeit geklärt worden war. Sie waren quitt. Und Gábor grinste zufrieden, denn er verstand, dass sie sich versöhnt hatten. Und vor allem: dass sie sich verstanden! Sie waren auf einer Wellenlänge. Ausschließlich sie beide, niemand anderes!
    Da rechnete er jedoch nicht mit mir. Ich hatte nämlich genau verstanden, was zwischen ihnen geschehen war. Und selbst wenn ich es nicht genau verstand, sah ich in diesem Augenblick zumindest klar und deutlich, dass ich eines Tages genau verstehen würde, was zwischen ihnen geschehen war. Und zwar, weil ich auch zu ihnen gehörte. Ich war auch wie sie. Ich war der Dritte!
    Und da sah ich auch schon, wie recht Gábor gehabt hatte, als er mich am Tag zuvor unter seine Fittiche genommen hatte und wie recht er mit all den Sticheleien und Spitzen gehabt hatte. Er hatte gespürt, dass ich zu ihnen gehörte. In einer der Ecken stand eine kleine Vitrine. Sie war aus einem Krankenhauslabor, darin standen Kolben und Reagenzgläser. Ja, das alles war wegen der Messe hier, die damals zu Allerheiligen abgehalten worden war. Gábor hatte mir im Zug davon erzählt. Mit anderen Worten, ich sah tatsächlich alles. Dort, in diesem Zimmer.
    „Jetzt ist es gut, oder?“, fragte Gábor.
    Kornél nickte und sie gaben sich die Hand. Dann wandte sich Kornél an Gábor.
    „Mach, dass sie still sind.“
    „Schnauze halten!“, brüllte Gábor.
    Und Kornél sagte:
    „Hör zu, Gábor. Alles, was ich jetzt hier sage … ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit können nur dem Zufall zuzuschreiben sein.“
    Für andere war das nichts als das Gemurmel eines Betrunkenen. Nicht so für Gábor und mich. Für uns war es sonnenklar, dass Kornél befürchtete, etwas auszuplappern, wie zum Beispiel die Sache mit dem geheimen Dokumentarfilm. Deshalb holte Gábor auch gleich sein Bajonett heraus und stieß es in die Dielen. Dann rief er:
    „Das ist eine geschlossene Sitzung! Jeder, der hier nichts zu tun hat, geht. Los!“
    Er hielt die Tür weit auf.
    „Hinaus mit euch!“
    Die drei Künstler verließen den Raum. Sie kicherten und machten sich über Gábor lustig. Sie wussten jedoch genau, dass dieser verrückt genug war, um gegebenenfalls etwas Verrücktes zu machen. Gleichzeitig spürten sie auch, dass sie ihre Aufgabe bereits erfüllt hatten, sowohl in seelischer als auch in gesellschaftlicher und sakraler Hinsicht. Und was das Praktische betraf: Beim Hinausgehen steckten sie hinterlistig die restlichen Getränke

Weitere Kostenlose Bücher