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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles
.
    Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören
.
    Als du ein Kind warst, da redetest du wie ein Kind und dachtest wie ein Kind und warst klug wie ein Kind; als du aber ein Mann wurdest, tatest du ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkennst du stückweise; dann aber wirst du erkennen, wie du erkannt bist. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen
.
    DU ESEL, STRENG DICH AN, ZU LIEBEN
.
    Von deinem Bruder
    Budapest, Weihnachten 1954
    Mir stockte für einen Augenblick der Atem: Ich dachte, es sei von Onkel Lajos geschrieben worden. Und dann wäre der Adressat ja Vater! Er konnte es jedoch nicht geschrieben haben. 1954 gab es auch andere Brüder in Budapest, sogar solche, die nicht im Gefängnis saßen.
    Schwesterchen war schön. Sie trug einen zerknitterten, grünen Rock, der ihr bis zur Mitte des Oberschenkels ging, sie hatte schöne Beine, grüne Augen, rot gefärbte Haare und ein an einen Fuchs erinnerndes, trauriges Gesicht. Aber trotzdem wollte ich mich gerne selbst für jemanden entscheiden. Und ich stellte mir eine fröhliche Frau vor, die gerne lachte, nicht so eine depressive wie Schwesterchen. Dazu in scheinbarem Widerspruch stand natürlich, dass ich einige Monate später gerade auf die heiser weinende Emőke Széles aufmerksam wurde, aber … nein, das war nicht nur ein scheinbarer Widerspruch. Es war einfach ein Widerspruch. Einer von vielen Tausenden.
    „Ich kenne die Stelle.“
    „Ich leihe dir das Buch aus, gut? Du kannst es mir ja nach der Sommerschließzeit wiedergeben.“
    „Hat das dein Bruder geschrieben?“
    Das war eine blöde Frage, ich hatte ja das Datum gesehen.
    „Ach was“, sagte sie erschrocken, denn Elemér war ihr peinlich. „Ich habe es beim Sperrmüll gefunden. Es lag vor einem Haus. Kennst du meinen Bruder?“
    „Ich weiß, wer er ist.“
    „Aber wir sind uns nicht ähnlich. Ich bin meiner Mutter ähnlich, er ähnelt meinem Vater. Ich leihe es dir aus, gut?“
    „Danke.“
    Sie war ebenfalls verlegen.
    „Ich weiß, dass du sehr viel leidest.“
    Meinte sie mich? Sie hatte eine zu hohe Meinung von mir.
    „Aber ich glaube nicht, dass du selbstsüchtig bist. Jeder ist gewissermaßen selbstsüchtig. Ich denke, du bist ein sehr wertvolles Menschlein.“
    Ich hasste das Wort
Menschlein
. Ich bin kein Mensch lein. Keiner ist ein Menschlein. Über Schwesterchen kursierten boshafte Geschichten. Sie gehe mit den Männern in der Bibliothek, unter ihnen auch einige Leser – gelinde gesagt –, zu weitherzig um. Sie reiche unglücklichen, einsamen Männern eine helfende Hand. Ich fürchtete mich also vor September, wenn ich ihr das Buch würde zurückgeben müssen. Andererseits konnte ich den September natürlich kaum erwarten.
    Am nächsten Tag begann die einmonatige Sommerschließzeit, weshalb ich bis September warten musste, als Éva Viola Dévai bereits mit einer neuen italienischen Bibel auf dem Königinnenbalkon lag. Ein Heft hatte sie auch dabei. Frau Mirák sagte, sie lerne wirklich intensiv. Ich dachte natürlich, das sei es für sie schon gewesen, und sie erinnere sich gar nicht mehr an mich. Und ich suchte ebenfalls nicht den Kontakt zu ihr, da ich mich wegen der Balkon-Geschichte schämte.
    Einige Tage später kam sie jedoch auf dem Gang auf mich zu und lud mich ein, beim Krippenspiel mitzumachen. Denn bei der Weihnachtsfeier der Bibliothek sollte ein Krippenspiel aufgeführt werden. Ich konnte mich entscheiden, ob ich einen Hirten oder einen Weisen spielen wollte.
    „Dann schon eher einen Hirten“, antwortete ich, natürlich nicht, weil ich so weise war, sondern weil die Hirten jünger sind.
    „Ich wusste es“, sagte sie freudestrahlend. „Ich kenne dich schon so gut!“
    Sie war wunderschön geschminkt, trug einen lila Rock und hatte ein strahlendes Lächeln.
    „Die Engel werden wirklich gut

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