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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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dar. Es war enorm schwer zu erreichen, dass dies zustande kommt. Stellt euch vor, wie viel Chaos wir damit woanders induzieren.“
    Es war eine Nacht im späten Herbst. Um uns herum lag der Káler Wald. Es war völlig windstill. Wir hatten noch zwei Flaschen Wein. Das waren einfache Tatsachen, die Kornél und ich genauso sahen wie Gábor. Dennoch nutzte er jede Gelegenheit, immer wieder zu betonen, dass wir jetzt gemeinsam auf dem Felsen saßen, um uns herum der Káler Wald lag, wir Wein dabeihatten und so weiter und dass all das mehr als eine einfache Tatsache war, denn es war eine feierliche Tatsache. Und diese war sein Verdienst, er hatte dafür gesorgt, dass wir endlich zu dritt auf dem Felsen saßen. Er drückte immer noch ganz aufgeregt die Daumen, dass Kornél und ich uns sympathisch waren. Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits seit fast einem Jahr befreundet, Gábor hätte uns jedoch am liebsten immer und immer wieder zu Fremden gemacht, um uns dann wieder miteinander bekannt zu machen. Ab und zu stellte er uns aus Spaß erneut ei nander vor (Mein Freund – Mein Freund), damit wir ja nicht vergaßen, dass wir es ihm zu verdanken hatten, einander zu kennen.
    Auch vom Chaos hatte er deshalb zu sprechen angefangen, weil er dachte, seine Rolle sei es, die Nervensäge zu spielen, das erwarteten die beiden schwachsinnigen Idealisten von ihm. Dabei konnte er den Hauptprogrammpunkt kaum erwarten, wenn er sich als dritter Schwachsinniger zu uns gesellen würde, und wir zu dritt vom Felsen brüllen würden, wie die beiden es einst zu zweit getan hatten. Er wusste jedoch auch, dass das Brüllen dem richtigen Moment vorbehalten war, man konnte nicht einfach gleich am Anfang losbrüllen, und der Zuständige für richtige Momente war Kornél.
    Gábor nahm noch einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Und das Thema
Schwesterchen
musste dem Chaos weichen.
    „Na, Schätzchen“, flüsterte Elemér wichtigtuerisch, nachdem wir aus dem Aufzug gestiegen waren, „ab hier ist dieses ganze Irrenhaus tatsächlich ein einziges kchetisches Labyrinth.“
    Die Keller bildeten ein von den anderen Teilen der Bibliothek unabhängiges System. Man musste das Gebäude zunächst verlassen, um dann durch eine kleine Eisentür ins Kellergeschoss zu gelangen. Der Umbau des Palastes ist seither vollendet worden und von dieser Tür ist keine Spur mehr, wie auch das Betreten der Eckkuppeln keinem gewöhnlichen Sterblichen mehr gestattet ist. Damals öffnete Elemér jedoch genau diese Eisentür. Wir kamen in ein kleines Treppenhaus und gingen drei halbe Etagen nach unten.
    „Du wirst es vielleicht gar nicht glauben, aber ich komme jeden Tag herunter, stecke die Nase herein, und dann gruselt es mich richtig. Dabei nehme ich mir jeden Morgen vor, nicht mehr herzukommen, es reicht. Und dann komme ich doch jeden Tag her. Verstehst du das?“
    Eine weitere Eisentür. Wir kamen auf einen Gang. Neonlicht, Türen. Gestank. Auf dem Gang Hunderte von moderigen Stühlen, bis zur Decke gestapelt. Auf diesen hätten die Leser gesessen, wenn die Bibliothek zwei Jahrzehnte zuvor eröffnet worden wäre.
    Das war die berüchtigte zweite Etage. Hier befanden sich die für die Verwaltung des künftigen elektronischen Bibliothekskatalogs vorbehaltenen Räume. Ich hatte mir den in der Vorhalle ausgehängten Gebäudeplan oft angesehen, daher wusste ich, dass es sich nicht um ein wirkliches Kellergeschoss handelte und ich wusste auch ungefähr, wo wir uns befanden: Rechts von uns war die westliche Stützmauer des Palastes, jenseits davon die Luft und der Tabán und links von uns der Budaer Lehmmergel, also der Boden. Ich ahnte auch, dass sich unter uns noch weitere Kellergeschosse befanden.
    Am Ende des Ganges gab es auf der linken Seite einen Duschraum, dessen Tür Elemér mit einem vielversprechenden Gesichtsausdruck öffnete. Er bedeutete mir, ebenfalls hineinzuschauen. Als Vorwarnung, welchen meiner Sinne ich in Alarmbereitschaft versetzten sollte, rümpfte er die Nase. Seine Aufmerksamkeit tat gut, wobei ich den Kot- und Uringestank bereits beim Betreten des Ganges gerochen hatte.
    „Igitt!“, sagte er aufgeregt. „Igittigitt! Und das ist noch gar nichts, Schätzchen.“
    Er erfasste vorsichtig den Griff der Tür am Ende des Ganges.
    „So etwas hast du noch nicht gesehen. Pst, ganz leise.“
    So etwas hatte ich tatsächlich noch nie gesehen. Auch noch nie gerochen. Ein großer, fensterloser Saal. Er wurde von einer Glühbirne erleuchtet, die einige Sekunden

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