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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich ging schnell los, und sie blieb mit der Tanne da. Bald fanden sich mehrere Leute ein, um den Baum aufzustellen. Einer von ihnen war Gábor, der gerade angekommen war. Nun wusste Schwesterchen die Tanne in guten Händen und setzte sich daher in eine Ecke, um zu rauchen. Die Knie hochgezogen und unter dem Mantel versteckt, beobachtete sie, wie Gábor und der andere kräftige Bursche arbeiteten.
    Gábor war allein gekommen. Im Grunde suchte er mich. Deshalb war er so zeitig in die Bródy gekommen. Im Augenblick herrschte überall Gleichgewicht, und er wurde nirgends gebraucht. Wir verpassten uns lediglich um einige Minuten. Den Stamm des Weihnachtsbaums spitzte er mit seinem Bajonett an. Die Axt wurde also gar nicht gebraucht, denn man hätte sie nur gebraucht, wenn keine zur Hand gewesen wäre. Das ist immer so. Diese einfachen Wahrheiten übers Chaos nannte man
Murphys Gesetze
, sie waren damals ein großer Erfolg. Die Bücher, in denen diese zusammengetragen waren, wurden in die Sprachen Mitteleuropas übersetzt, und die Mitteleuropäer bekamen die Bestätigung für ihren fatalen Pessimismus, von dort, woher sie es im Traum nie erwartet hätten: aus den Vereinigten Staaten.
    Es kamen bereits die ersten Ballgäste. Es war noch recht zeitig, sie hatten sich in der Uhrzeit getäuscht.
    „Was wird das hier, eine Hochzeit?“, fragte Gyuri Keszi, der Audiotheksleiter der Bibliothek, der auch fürs Radio arbeitete: Er war der Toningenieur der Nachtsendung, die den stimmungsvollen Namen
Nachtfalter
trug und über einen verhältnismäßig kleinen Hörerkreis verfügte. Der
Nachtfalter
wurde einmal im Monat nach Mitternacht ausgestrahlt, und aufgrund der geringen Hörerschaft konnte dort beinah ganz ohne Selbstzensur über alle wichtigen Themen gesprochen werden, die den denkenden Menschen zu beschäftigen vermochten. Zum Beispiel übers Rauchen. Die eingeladenen Gesprächspartner, ein Soziologe, ein Biologe und die beiden Literaturwissenschaftler, Dervis, der
Újhold
-Experte und Ócsai, der Ervin-Gál-Experte, hatten seit Mittag im Studio gesessen. Sie hatten die Januar-Sendung des
Nachtfalter
s aufgenommen, in dem es ums Rauchen gehen sollte. Die beiden geschiedenen Männer (Dervis und Ócsai) hatten den in Scheidung lebenden Gyuri Keszi gerade aus der Cafeteria des Radios in die Bródy begleitet. In der Cafeteria des Radios wurde damals noch Alkohol verkauft, und dieses Angebot war von den drei Männern auch genutzt worden. Daher war es kein Wunder, dass die Diskussion, die sie im Studio begonnen hatten, bereits bei den Rauchergewohnheiten des Urmenschen angelangt war.
    Sie hatten sich in die Mitte des Saals gesetzt. Besser gesagt, sie hatten ihr Lager dort aufgeschlagen. Sie hatten drei Stühle im Kreis aufgestellt, sich gesetzt, die Köpfe zusammengesteckt und sich jeweils eine Zigarette angezündet. Alle drei hatten zerzauste Haare, Bärte und Brillen. Sie trugen Mäntel, froren jedoch nicht.
    „Was ist los, Gábor, setzt du dich nicht zu uns?“, fragte Ócsai. „Das Thema betrifft auch dich. Wir fragen uns, ob der Urmensch geraucht hat.“
    Gábor setzte sich sehr gern zu ihnen.
    „Darum geht es doch gar nicht“, sagte der allein schon wegen seiner Scheidung am meisten betrunkene Gyuri Keszi. „Ihr seid doch bescheuert. Die Frage war, warum man gerne raucht.“
    „Das haben wir schon alles besprochen, Gyuri. Wir sind nur nicht dahintergekommen, wozu es gut ist. Das ist ein gewaltiger Unterschied! Was der Nutzen des Rauchens ist.“
    „Das habe ich euch doch gesagt“, sagte Dervis mürrisch. „Nur interessiert sich keiner von euch für naturwissenschaftliche Erklärungen.“
    „Ich schon“, sagte Gábor begeistert. Ab jetzt fühlte er sich in dem Gespräch zu Hause.
    „Mein lieber Gábor, in der kollektiven Erinnerung ist die Zigarette das Symbol für das Lagerfeuer des Urmenschen. Wie wir uns gegenseitig Feuer geben ist ein Ritual und in diesem Ritual sind die hunderttausend Jahre enthalten, in denen unsere Vorfahren gemeinsam Feuer schlugen. Deshalb rauchen wir gerne.“
    „Das erklärt lediglich, weshalb wir uns gerne eine Zigarette anzünden“, erwiderte Gábor.
    „Und Rauchen ist wegen der wilden Tiere von Vorteil. Wenn wir akzeptieren, dass wir über Archetypen von gewissen wilden Tieren verfügen …“
    „Wir verfügen über keinerlei Archetypen, aber egal“, sagte Gábor überheblich. „Nehmen Sie es jedoch so, als hätte ich nichts gesagt, Herr

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