Liebe Unbekannte (German Edition)
Damit brach sie den Kontakt zu ihnen für viele Jahre ab, in denen die Olbachs zu einem einsamen alten Paar wurden, und sie selbst von nur noch mehr Bitterkeit erfüllt wurde, aber zumindest hatte sie die Wahrheit gesagt.
Und danach hatte das Flachland die Gelegenheit, Emma zu sehen, wie sie an der Hand ihrer Mutter zum Bus spazierte.
Nachdem wir auf so schnelle und stürmische Weise mit ihnen Bekanntschaft geschlossen hatten, hatten auch wir nun keinen Kontakt mehr zu den Olbachs. Es gab keinen Anlass dafür. Doch Jahre später liefen sich Mutter und Tante Mara einmal im großen Lebensmittelgeschäft von Nyék zufällig über den Weg, da Tante Mara ausnahmsweise ihren Aktionsradius erweitert hatte, weil es im Flachlandladen kein Brot mehr gegeben hatte. Tante Mara beschwerte sich, dass Edit Iván Emma gegenüber in einem schlechten Licht erscheinen lasse, wo Emma ihn doch so sehr liebe, dass sie – Stell dir das mal vor, meine liebe Irén! – aufgehört habe, das R zu rollen. Weil sie irgendwo mal aufgeschnappt habe, dass man in Ottawa Französisch spreche. Mutter bot gleich an, dass sie als Logopädin sich gerne um Emma kümmern würde, aber das war natürlich völlig irrsinnig, weil Edit und Emma zu dem Zeitpunkt schon gar nicht mehr in Budapest wohnten, sondern irgendwo auf dem Land. Tante Mara lehnte das Angebot dankend ab, und da das vollkommen logisch war, nahm ihr Mutter das auch gar nicht übel. Zu Hause erzählte sie dann nur, dass Emma das R nicht mehr rolle, und ich stellte mir vor, sie käme zu uns zur Sprecherziehung. Und ich bedauerte unsäglich, dass wir meine Un fähigkeit, das R zu rollen, damals so leichtfertig vergeudet hatten. Denn als ich klein war, konnte ich es auch nicht richtig rollen, aber Mutter beseitigte diesen Zustand umgehend.
Edit ließ Emmas Vater tatsächlich in keinem guten Licht erscheinen, dabei unterhielt sie sich nur mit ihr. Sie erklärte Emma, dass jemand, der ins Ausland gehe, die ungarische Sprache verlerne oder zumindest einen Akzent bekäme. Um keinen Akzent zu bekommen, müsse man ein außerordentlich starker Mensch sein. Emmas Vater sei jedoch ein schwacher Mensch. In Emmas Erinnerung war ihr Vater ein außerordentlich starker Mensch, was Edit auch nicht abstritt, denn Iván war einen Meter neunzig groß, ein guter Speerwerfer, saß an der Kunsthochschule Modell; er war ein stattlicher Mann. Das bedeute jedoch nicht, dass er wirklich ein starker Mensch sei, denn ein starker Mensch könne Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden.
Emma wusste, dass ihre Mutter sich zwischen ihr und ihrem Vater entschieden hatte, und somit auch zwischen Ottawa und Budapest. Sie diskutierte also nicht, sondern akzeptierte die Lage: Ihr Vater war ein schwacher Mensch. Dennoch tat sie das, was einem in solch einer Situation überhaupt noch möglich ist: Sie begann langsam, unmerklich mit französischem Akzent zu sprechen. Sie hatte niemals beschlossen, sich den Akzent ihres Vaters anzueignen, nur probierte sie einfach mal aus, wie es war, das R nicht zu rollen, und damit konnte sie auch erst wieder aufhören, als sich herausstellte, dass Iván Olbach Werbegrafiker in Schweden geworden war.
Emma wuchs also weit weg von Nyék auf. Sie nahm am Leben ihrer Mutter teil.
Und das Leben von Edit Perbáli drehte sich, seit so ungefähr ihrem zehnten Lebensjahr, um den Verlust ihrer Schönheit. Das war der Grund für ihren Ernst, der sie so tiefgründig wirken ließ. Ihre Würde, ihre Haltung waren nicht die Würde und Haltung der Schönheit, sondern die Würde und Haltung des langsamen Verlusts der Schönheit. Ihre Zügellosigkeiten waren vom Verlust der Schönheit ausgelöste Zügellosigkeiten. Auch Emma wusste seit Langem, dass ihr Leben im Grunde die Geschichte des Schönheitsverlusts ihrer Mutter war. Sie wusste jedoch auch, dass das eine lange Geschichte war, in der vieles Platz hatte, auch Fröhlichkeit und unzählige glückliche Augenblicke. Emmas Mutter war sehr begabt im Auskosten von Augenblicken, und wer dann bei ihr war, ging nicht leer aus. Ganz gleich, ob derjenige ihr Liebhaber war oder ihre Tochter. Jeder bekam von Edit Perbáli, was ihm gebührte. Sie erzählte Emma nie Märchen, sondern trug stets Gedichte vor. Vor allem von Attila József, Sándor Weöres und Endre Ady. Es kümmerte sie nicht, dass Emma kein einziges Wort verstand, und Emma kümmerte es auch nicht. Ihre Mutter trug Gedichte vor, das war das Entscheidende, und dass das Ganze immer etwas erschreckend war, und
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