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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Bec.
    »Stört’s dich?«
    »Nein, egal. Ist bei dir alles in Ordnung? Du siehst müde aus.«
    Ritchie verzog das Gesicht. »Das bekomme ich schon mein Leben lang zu hören. So sehe ich einfach aus. Der verpennte alte Ritchie. Aber ich bin auf dem Posten. Was man mir zuwirft, fange ich auf.«
    Er wackelte mit dem Knie auf und ab, eine neue Marotte, die Bec nervös machte. »Erzähl mir, was du auf dem Herzen hast.«
    »Deine verrückte Schwester hat sich diesmal selbst übertroffen«, sagte sie. »Ich habe etwas Extremes gemacht, und ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Warum schaust du mich so an? Ich habe dir doch noch gar nicht gesagt, was es ist.«
    »Wie denn? Entschuldige. Du weißt doch, wie sehr ich mich um dich sorge.« Das Kniewackeln wurde schneller. Er merkte es gar nicht. Ein zappelnder Wurm schien sich in seinem Bauch ein- und aufzuringeln. Angst und Hoffnung arbeiteten in ihm, und er hatte den Drang, seiner Schwester »Erzähl’s mir nicht!« zuzuschreien. Während Bec ihm berichtete, was sie mit Dougie angestellt hatte und dass sie schwanger war, hörte er auf zu wackeln, und eine unendliche Ruhe breitete sich in ihm aus.
    »So etwas hätte ich nie für möglich gehalten«, sagte er sanft, von Zärtlichkeit und Mitleid für seine Schwester erfüllt. Schrecklich, was sie für eine Scheiße gebaut hat, dachte er. In ihm stieg eine heftige Empörung auf, dass sie ihn zu etwas drängte, was er lieber nicht tun würde. Er fing wieder an, mit dem Knie zu wackeln.
    »Was du auch tust«, sagte Ritchie, »erzähl Alex nichts davon.«
    »Aber wenn es später herauskommt?«
    »Erzähl ihm einfach nichts«, sagte Ritchie. Er führte den Kakao an den Mund, um seinen Impuls zu kaschieren, laut loszuprusten. Seine Hand zitterte leicht, und diese Tatsache besaß für ihn ein fast unerträgliches Pathos. Ein feuchter Film überzog seine Augen. Sein Herz schlug sehr schnell. Er sehnte sich an die frische Luft. Bec ließ ihn nicht gehen.
    »Du meinst, ich sollte es einfach begraben? Zulassen, dass es eines von diesen Familiengeheimnissen wird?«
    »Genau«, sagte Ritchie. »Alex wollte unbedingt ein Kind haben, und jetzt wird er eins bekommen. Herzlichen Glückwunsch.« Er sprach die Worte im Vollgefühl seiner Vernunft aus. Er lächelte Bec warm an, und sie lächelte zurück. Er trägt kein Make-up, dachte sie. Das Tageslicht hat ihn rauhäutig erscheinen lassen.
    Den ganzen restlichen Tag und noch am Abend zu Hause war Ritchie in Gedanken versunken. Wenn er eigentlich hätte jemandem zuhören oder irgendetwas erledigen sollen, stellte er fest, dass er fasziniert, als ob er high wäre, auf einen Gegenstand blickte oder auf eine Oberfläche, auf die Maserung im lackierten Holz des Küchentischs, einen einzelnen Knorren.
    »Warum starrst du das Brot an?«, fragte Dan. Ritchie überlegte gerade, wie viele Löcher die Scheibe Brot vor ihm wohl hatte; wie sie dort hineingekommen waren; ob in der Scheibe mehr Luft als feste Materie war; wie der Eindruck wäre, wenn er mikroskopisch klein werden und über die Oberfläche des Brots krabbeln könnte. Ob die Löcher selbst Löcher hatten?
    Er stand auf. »Ich habe vergessen, etwas zu erledigen. Ich muss noch mal hoch«, sagte er. »Bin gleich wieder da.« Karin sah ihn verwundert an. Er ging die Treppe hinauf. Er konnte es kaum glauben, dass die hölzernen Stufen immer so viel Lärm gemacht hatten, dass ihr Knarren immer so laut durch die Stille des Obergeschosses getönt, dass es immer so lange gedauert hatte, die Treppe hinaufzusteigen. Er betrat sein Atelier, das, wie er wusste, noch genauso war, wie er es verlassen hatte; und doch schien es ihm, als käme er in einen Raum, den er eigens für diesen Moment hergerichtet hatte. Er hatte ein hohes Singen in den Ohren, und die Haut über seinen Wangenknochen kribbelte unangenehm. Ihm war, als wäre es nicht er selbst, der zum Schreibtisch ging, sondern als bewegten sich Gliedmaßen und Rumpf eigenmächtig, von seinem Bewusstsein beobachtet. Ihm schien, als wären die Arme seines Willens verschränkt, während seine Finger ein Notizbuch durchblätterten.
    Er dachte: Jetzt ist es passiert, es ist in der Welt, es lässt sich nicht mehr zurücknehmen. Dabei hatte er es noch gar nicht getan.
    Er rief die Moral Foundation an und hörte eine digitale Ansage.
    »Wenn Sie einen Code haben«, sagte die Stimme, »geben Sie ihn jetzt bitte ein.«
    67
    Als Bec am nächsten Morgen durch das Foyer des Gebäudes ging, wo sie ihr neues

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