Liebe und andere Parasiten
jetzt ein.« Bec hörte eine Folge von sechs oder sieben Pieptönen. »Bitte bleiben Sie dran.«
»Ritchie!« Val war in der Leitung. »Wie schön, dass Sie sich melden. Was haben Sie für uns?«
Ritchie beschimpfte Val derart unflätig, wie Bec es noch nie von ihm gehört hatte. Er klang, als hätte er Angst. »Willst du’s wissen oder nicht?«, sagte er.
»Ich weiß nicht, was Sie haben.«
»Es darf keiner erfahren.«
»Sie wissen doch, wie wir arbeiten, nicht wahr? Ich hoffe, Sie tun dies, weil Sie die Verfehlungen anderer Leute missbilligen, nicht weil Sie der Meinung sind, wir hätten etwas gegen Sie in der Hand. Es wäre mir lieb, Sie würden sich Sorgen wegen des moralischen Zustands der Gesellschaft machen und mir deswegen erzählen, was Sie mir gleich erzählen werden, und nicht weil Sie nur an sich denken. Eine solche Tugend verdient, belohnt zu werden. Gewiss, wenn Sie uns sagen, was Sie wissen, werden wir nicht sagen, was wir über Sie wissen, falls wir irgendetwas über Sie wissen, und ich sage nicht, dass das der Fall ist.«
Ein paar Sekunden des Schweigens verstrichen.
»Ich warte«, sagte Val.
Bec hörte Ritchie sagen: »Es geht um meine Schwester.«
»Wie heißt sie?«
»Du weißt genau, wie sie heißt!«
»Aber ich möchte hören, wie Sie ihren Namen sagen.«
»Bec. Meine Schwester Bec. Sie hat mit dem Bruder ihres Freundes geschlafen, während der Freund in Amerika war, und jetzt ist sie schwanger. Bist du zufrieden?«
Bec kauerte sich auf den Fußboden, den Rücken an den Schreibtisch gelehnt. Sie wusste nicht mehr, wie sie atmen sollte.
»Reicht das?«, sagte Ritchie.
»Wie heißt der Bruder?«
»Douglas. Dougie.«
»Nachname?«
»Comrie.«
»Haben Sie seine Nummer?«
»Nein.«
»Bilder?«
»Was glaubst du eigentlich!«
»Wir könnten etwas daraus machen, nehme ich an. Sie ist immer noch nicht so berühmt, wie Sie es sind. Es muss so was sein wie ›Aus der Traum für die Traumfrau der Wissenschaft‹.«
»Hast du gar keine Gefühle? Bedeutet Bec dir gar nichts?«
»Bedeutet es Ihnen etwas, dass Sie Ihre Schwester verraten? Oder stellen Sie sie bloß, weil Ihr Anstandsgefühl von ihrer Hurerei verletzt wurde?«
»Du hast mich gefoltert«, sagte Ritchie.
»Ich foltere nur Menschen, die vergessen haben, wie man sich selbst foltert«, sagte Val.
»Du hast mich dazu gezwungen.«
»Es ist ein Trauerspiel, wie schwach eine brave britische Familie in nur einer Generation werden kann. Weinen Sie nicht, Ritchie. Seien Sie ein Mann. Weinen lässt Sie nur noch jämmerlicher erscheinen.«
Bec hörte die fernen leisen Winseltöne des schluchzenden Ritchie.
68
Als Bec die Kollegen, mit denen sie verabredet war, per Mail informierte, dass es ihr nicht gut gehe und sie nach Hause gehen müsse, schienen ihre tippenden Finger nicht mehr zu ihr zu gehören; sie waren wie Holzstifte, die vorne an ihren Armen steckten. Im Bad konnte sie sich den gehetzten Ausdruck nicht vom Gesicht waschen. Sie verließ das Gebäude nahe der Victoria Station und stieg in ein Taxi. Ihr Telefon klingelte. Die Nummer erschien nicht. Eine Frauenstimme sagte: »Ich habe Mr Oatman für Sie am Apparat«, und Bec hörte Val sagen: »Was glaubst du, warum hat er das getan?«
»Er sagte, du hättest ihn gefoltert«, sagte Bec.
»Das hat er gesagt, allerdings. Was er wohl damit gemeint hat? Du solltest ihn mal fragen, warum er meint, ich hätte die Mittel, ihn zu foltern.«
»Und jetzt folterst du mich.«
»Ich bin nur der Mann, der sich um dein Gewissen kümmert. Ich bin das, was passiert, wenn du eine Verfehlung begehst und sie geheim hältst und nicht glaubst, dass Gott dich sieht.«
»Du weißt gar nichts über mein Gewissen. Du weißt nicht, warum ich mit Alex’ Bruder geschlafen habe.«
»Aber du hast es Alex nicht gesagt.«
»Ich hatte es vor.«
»Und jetzt wirst du es müssen .«
»Ich wollte es ihm von selbst sagen.«
»Aber du hast es nicht getan.«
»Du hast mir nicht die Zeit gelassen, von selbst richtig zu handeln. Wer bist du, dass du dich zum Richter über das Leben anderer Leute aufschwingst?«
»Es war nötig. Wenn die Leute nicht auf ihr Gewissen hören, an wen kann das Gewissen sich dann wenden? Die Moral Foundation bietet ihm eine Zuflucht.«
»Wirst du auf deiner Webseite über mich schreiben?«
»Warum denn nicht? Damit du dein schmutziges Geheimnis weiter geheim halten kannst?«
»Ich werde Alex die Wahrheit sagen, was auch geschieht. Du hast mal behauptet, du würdest mich
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