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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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sagte, er habe gehört, Harry habe seinen Sohn nicht eingeladen; hörte von dem Schriftsteller, dass Harrys Neffe Alex anwesend war, zur Rechten des großen Mannes; trat zurück, um andere mit in den Kreis zu lassen; hörte jemanden fragen, ob es stimme, dass Alex Harrys Nachfolger im Institut werden sollte; bejahte das; holte sein iPhone aus der Tasche; sagte, er wolle sich vergewissern, dass das Wort »Nepotismus« von dem lateinischen Wort für Neffe kam; wurde verspottet und bekichert.
    Die Biologin entfernte sich von der Gruppe und sah sich ratlos im Raum um: Wohin ging man im siebzigsten Stock, wenn man rauchen wollte? Der Lärm strengte sie an, und Harrys Ortswahl enttäuschte sie. Sie war über Schanghai gekommen. Das Hochhausduell, dachte sie, würde London nicht gewinnen. Sie erkannte Alex in der Menge, ein hochgewachsenes Energiebündel mit einer Haifischflossennase und großen, beredten Händen, das mit liebenswürdiger Vernunft jemand Ahnungsloses niederwalzte.
    Eine Frau betrat den Raum mit zerstreuter Zielstrebigkeit, als wäre die Party ein Korridor, den sie durchlaufen musste, um anderswohin zu gelangen. Sie war Anfang dreißig und hatte schulterlange schwarze Haare, deren dicht gewellte Strähnen ihr Gesicht einfassten. Braun gebrannt, intelligente schwarze Augen, ein Hauch natürlicher Röte auf den Wangenknochen, die noch unter der Bräune sichtbar war. Sie trug ein indigoblaues Kleid, pflaumenblaue Strumpfhosen und schwarze Pumps und war für den modernen Schick zu vollschlank: ein präfotografisches Ideal von Kurven über und unter einer schmalen Taille, eine Fülle, die in Bewegung leicht war, aber, auf einem Bild festgehalten, schwer wirken konnte. Ein Kellner trat mit Champagner auf einem Tablett an sie heran.
    Die Biologin fragte den Journalisten, ob er sie kenne.
    »Die gut aussehende Frau da? Rebecca Shepherd. Malaria-Forscherin.«
    Die Biologin wollte sie ansprechen, bemerkte aber, dass Harrys Neffe sie hatte eintreten sehen und sie bereits begrüßen ging.
    31
    Bec blickte auf. Ein großer Mann mit braunen Augen stand vor ihr und meinte, sie müsse ihn kennen, doch sie erkannte ihn erst, als er sagte, dass er Alex Comrie sei. Sie sah an ihm vorbei in den Raum. »Warum trägt dein Onkel so bunte Sachen?«, sagte sie.
    »Er glaubt, seit er krank ist, sei sein Gesicht interessant geworden. Stark genug für Farben.«
    »Er sieht nicht krank aus. Er sieht glücklich aus.«
    »Er steckt voller Medikamente und Lebenskraft. Er hat sich durchaus nicht damit abgefunden.«
    »Niemand findet sich damit ab«, sagte Bec.
    Gestern, erinnerte sie sich, war das Grab kaum groß genug für Huru gewesen, und Batini hatte lange gebraucht, um ihn sorgfältig in das Loch zu drücken, mit der gedankenlosen Genugtuung einer Mutter, die Stullen in die Pausenbrotdose eines Kindes quetscht.
    Alex sagte: »Er weniger als die meisten anderen. Er hat großen Anteil an dem, woran ich gerade arbeite, und er möchte, dass ich den letzten Satz in meinem Aufsatz abändere und behaupte, ich hätte herausgefunden, wie die Menschen ewig leben können.«
    »Und, hast du’s getan?«, sagte Bec.
    »Es ist eine Theorie. Die Werte sind schwer zu bewähren, wenn es komplex wird. Wenn man sie in die Praxis umsetzen wollte, brauchte man für jede Person einen Computer so groß wie Wales.« Sie hört zu, dachte er. Sie merkt bestimmt die Unsicherheit in meiner Stimme. Die Zeit hatte wenig Spuren an ihr hinterlassen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, und sie wirkte so offen wie damals. Er fühlte das Verlangen, ihre Haare beiseitezuschieben und die Lippen auf ihren Hals zu pressen. Ich komme nicht an sie ran, dachte er. Im Zustand absoluter Konzentration auf Bec erkannte er, dass eine Traurigkeit sie ablenkte. Er wollte sie zum Lächeln bringen, merkte aber, dass er nicht aufhören konnte, über sein Problem mit Harry zu schwafeln. »Es ist nicht die Komplexität, die uns daran hindert, jahrhundertelang zu leben«, sagte er und fühlte, wie seine Zunge bei jedem L lederartig lappte. »Um wirklich unsterblich zu sein, müssten wir vergessen können, dass wir das ganze Theater schon kennen. Um jung zu sein, darf man noch nicht lange auf der Welt sein.«
    Bec lachte, und Alex, der ihr bei den letzten Worten ein wenig wie ein Prediger vorgekommen war, lachte auch, obgleich er nicht wusste, worüber sie eigentlich lachten.
    »Du kennst das ganze Theater noch nicht«, sagte sie.
    »Manchmal kommt es mir so vor«, sagte Alex.

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