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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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schwiegen. Aber die feuchte, nach Tod und Verwesung stinkende Kammer spendete ihm inmitten dieser Misere trotzdem Ruhe. Blaubart blickte zum Fenster heraus. Was wenn sie den Fluch gebrochen hatte?
    So sehr er diesen Zustand doch immer herbei gesehnt hatte, so sehr litt er nun darunter. Er hatte nie länger als sieben Tage warten müssen, bis sich das Muster wiederholte. Es fehlte ihm. Und das obwohl er mit der absoluten Traumfrau unter einem Dach lebte. Sie war seine Traumfrau, daran bestand gar kein Zweifel. Sie war mit nichts außer einem Koffer voller Kleider, einem Laptop und ihren persönlichen Unterlagen nach Deutschland gekommen. Wie eine seltene, bedrohte und zugleich äußerst zähe Pflanze streckte sie ihre Triebe Richtung Sonne aus. Ritter Blaubart hatte ihre Arbeiten auf ihrem Laptop gesehen. Ein unglaublich wacher Geist musste in diesem Kopfe wohnen. Sie war ein absoluter Crack auf dem Gebiet der Datenverarbeitung. Mit einem oder mehreren Patenten würde sie es garantiert zum Ruhm und Wohlstand bringen. Wobei sie dies, nach eigener Aussage gar nicht wollte. Sie wollte nur wieder forschen, ihre Arbeit wieder aufnehmen. Er selbst hatte nie ernsthaft arbeiten oder etwas für seinen Reichtum tun müssen. Weder früher noch heute. Wachte er nach einer Hinrichtung in einer neuen Existenz wieder auf, besaß er wie zuvor schon alles: Geld, reiche Freunde, Anwälte, Immobilien, Wertgegenstände, eine geräumige Wohnung. Geld spielte für ihn keine Rolle, hatte es noch nie getan. Sein Dasein war ja bisher auf das Ermorden neugieriger Frauen ausgerichtet gewesen. Egal welche Wiedergeburt bevorstand, sein Platz war immer unter den oberen Zehntausend gewesen.
    Und er hatte bisher außer dem Urteil der Kammer nichts zu Fürchten gehabt. Mei hingegen hatte nach den neuesten Dekreten ihrer gottesfürchtigen Regierung nur noch unter Todesdrohungen und mit Personenschutz arbeiten können. Islamistische Extremisten hatten nach ihren Erzählungen ihr Apartment in Manila angezündet, die Fenster des Forschungsinstituts eingeworfen und sie bei der Polizei als Prostituierte angeschwärzt. Und das nur, weil sie eine Frau war. Er knirschte mit den Zähnen und strich sich über die Augenbraue. Soweit er das verstand, was sie ihm auf ihrem Laptop demonstriert hatte, hielt sie mit ihren Software-Experimenten den Schlüssel zu einer völlig neuen Speicherweise von elektronischen Daten in ihren schönen braunen Händen. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, ihre Forschung zu unterstützen. Zusammen suchten sie nach Universitäten in Deutschland und den USA, an denen Mei ihre Projekte möglicherweise weiter voran treiben konnte. Sie wollte unbedingt wieder arbeiten gehen, der luxuriöse Lebensstil, den Blaubart ihr bot, begann sie zu ermüden. Sie stritten sich sogar deswegen. Mit Tränen, geworfenem Porzellan und anschließender leidenschaftlicher Versöhnung. Irgendwie war Blaubart auch fasziniert, die meisten seiner Bräute waren zumeist verschüchterte Jungfrauen aus gutem Hause gewesen, die ihr ganzes Leben lang darauf vorbereitet worden waren, irgendeinem Mann zu dienen.
    Für Jahrhunderte hatte er sich mit diesen jungen Dingern abgegeben. Eine verängstigter als die Andere. Sogar in seiner Inkarnation als US-amerikanischer Öl-Multi in den wilden 1960ern war er ausschließlich hochtoupierten, stummen Dingern mit Maskara-versteinerten Wimpern begegnet, die sich wie ihre Mütter einen Bourbon on the rocks nach dem nächsten reinkippten, stoisch ihr Schicksal abwartend. In seiner letzten Inkarnation, als Sohn eines nordafrikanischen Diktators hatte es dann etwas Abwechslung gegeben: Eine junge Mudschaheddin hatte ihn im Rahmen einer Revolution mit einem zwischen ihren enormen Brüsten deponierten Sprengsatz ins nächste Leben katapultiert. Noch nie zuvor war es einer Frau gelungen, ihn niederzustrecken. Und noch nie war es einer Frau gelungen, ihn so zu verunsichern, wie Mei es mit ihrem wissenschaftlichen Ehrgeiz tat und ihrem eindeutigen Bedürfnis nach einem gemeinsamen Beischlaf. Und ihrer Beständigkeit. Was, wenn sie niemals die Kammer öffnete? Was, wenn sie wirklich für immer zusammen blieben? Was, wenn sie Kinder wollte? Was, wenn sie ihn irgendwann einfach verließ? Ihn verlassen! Blaubart! Allein dieser Gedanke war schon Grund zur Beunruhigung. Noch nie hatte eine ihn verlassen. Noch nie. An eine mordlustige Meute verraten. Ja. Angespuckt. Ja. Verflucht. Ja. Aber noch nie wegen Entfremdung, Langeweile oder

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