Liebe und andere Zufalle
fällt Ihnen nichts Besseres ein, als Ihrem Bruder die Schuld zu geben?«
»Hören Sie mal«, begann Reynolds und hob einen Finger. »Sie werden hier nicht …«
»Weißt du, Reynolds«, mischte Cal sich ein, »wenn du erst wieder zu Hause bist, wird dir klar werden, dass du deinem Kleinen gerade einen genauso brutalen K. o.-Schlag versetzt hast, wie wir ihn beide unser Leben lang immer wieder abbekommen haben. Tja, du bist zwar ein Schwachkopf, aber du bist kein gemeiner Schwachkopf, deswegen beschert dir das hoffentlich ein paar schöne Albträume über deine Qualitäten als Vater. Hier und jetzt aber legst du dich gerade mit einer Person an, die kein Pardon kennt. Ich an deiner Stelle würde einen Rückzieher machen, solange du noch kannst.«
»Wir gehen nach Hause«, sagte Bink.
»Ich sehe nicht ein, warum …«, begann Reynolds. Da begegnete er Binks Blick. In ihren grauen Augen lag stählerne Kälte.
»Wir«, erklärte sie, »gehen jetzt nach Hause und besprechen das. Min, würden Sie und Cal sich darum kümmern, dass Harry gut nach Hause kommt?«
»Natürlich«, antwortete Cal, und Min nickte. Sie zitterte jetzt, da der erste Adrenalinschub vorüber war, trat beiseite, zurück zu ihrem Platz und hatte das Gefühl, aggressiv und sehr unhöflich gewesen zu sein. Als sie sich umgedreht und wieder gesetzt hatte, marschierte Cal bereits die Tribüne hinunter, gefolgt von Reynolds und Bink.
Unten auf dem Spielfeld hatte Harry ihnen den Rücken zugekehrt, aber Tony sprach mit ihm, also war er wohl in Ordnung. Sicherlich erklärte Tony ihm, dass sein Vater ein Hanswurst war, aber Min fand, auch das sei in Ordnung.
Sie warf einen Blick hinüber zu Cynthie, die nachdenklich wirkte. »Hi«, begrüßte Min sie und holte tief Atem. »Na, wie gefällt Ihnen die Show?«
»Ich hätte das nicht zustande gebracht«, erwiderte Cynthie, »meinen Glückwunsch. Sie haben mehr Mut als ich.«
»Das war nicht Mut«, entgegnete Min. »Wahrscheinlich habe ich überreagiert.«
»Nein«, widersprach Cynthie. »Cal hat überreagiert, aber er konnte nicht anders. Reynolds hat die übliche Familienmasche abgezogen, und das macht Cal verrückt. Er kann es nicht ertragen, dumm genannt zu werden.«
»Haben sie das als Kinder oft hören müssen?«, fragte Min.
»Ich glaube, alle beide hatten eine viel lausigere Kindheit, als wir uns vorstellen können«, erwiderte Cynthie. »Das heißt natürlich nicht, dass man deswegen seinen Bruder vor den Augen seines Neffen niederschlagen soll.«
»Vielleicht hätte er das gar nicht getan«, meinte Min.
»Ich weiß nicht.« Cynthie wiegte den Kopf. »Aber jetzt sind Sie für die Familie der Bösewicht, nicht er. Also haben Sie ihm da einen Gefallen getan.«
»Ich war schon vorher der Bösewicht«, erwiderte Min. »Seine Eltern konnten mich nicht ausstehen.«
»Ich glaube nicht, dass sie überhaupt irgendjemanden gern mögen«, stellte Cynthie fest. »Sie sind sehr mit sich selbst beschäftigt. Nicht grausam. Es ist ihnen einfach egal.«
»Tja«, meinte Min. »Sie sind hier die Psychologin, nicht? Wie können wir also Harry helfen?«
»Cal kümmert sich um ihn«, antwortete Cynthie und wies mit dem Kopf zum Spielfeld hinunter, wo Harry und Cal zusammen im Unterstand saßen. Sie betrachtete Min mit schräg gelegtem Kopf. »Es war doppelt so schlimm, weil Sie auch hier waren, wissen Sie. Harry hält so große Stücke auf Sie, und dann vor Ihnen so in Verlegenheit gebracht zu werden …« Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Sie haben Recht. Reynolds ist ein Schwachkopf.«
»Ist das der wissenschaftliche Begriff?«, fragte Min.
»In Reynolds Fall, ja«, antwortete Cynthie.
Unten im Unterstand ließ sich Tony neben Liza nieder und bemerkte: »Weißt du, ich dachte immer, wenn ich jemals in eine Kneipenschlägerei verwickelt würde, hätte ich dich gern als Rückendeckung, aber ich glaube, Min hat dir, was das angeht, gerade den Rang abgelaufen.«
»Tja, ich würde ihr nicht in die Quere kommen«, stellte Liza fest. »Dieser Kerl ist ein absoluter Versager.«
»Ja«, stimmte Tony ihr zu und beobachtete dabei das Spielfeld. »Aber Harry schafft das schon. Cal und Bink und Min stehen auf seiner Seite. Auf die Mannschaft würde ich jederzeit setzen. Jesus Christus, sieh dir das an.« Laut rief er: »Hey, Soames, pass auf, wohin du den Ball wirfst.« Er schüttelte den Kopf, beobachtete aber Soames weiter, bereit, ihm zu helfen.
Typisch Tony, dachte Liza. Er benahm sich manchmal wie ein
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