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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmondo de Amicis
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Maestra ihn einen Augenblick lang an, warf einen Blick auf die Tür und sah wieder ihn an, mit einem unbestimmten Ausdruck des Bedauerns. Sie schien zu denken: «Schade, dass er nicht ein anderer ist!» Doch ihr war sofort klar, dass ihr Schweigen missdeutet werden konnte, also beeilte sie sich, im freundschaftlichsten Ton, dessen sie fähig war, zu sagen: «Genug, Signor Celzani. Ich habe Ihnen von meinen Gefühlen erzählt. Sie haben ein gutes Herz. Sie werden eine andere finden, die Ihre Liebe erwidert, wie Sie es verdienen. Sie täuschen sich in mir: Ich bin nicht, wie Sie sich das vielleicht vorstellen. Ich bin nicht zärtlich. Ich habe das Herz eines Mannes. Ich wäre keine gute Ehefrau. Sehen Sie, ich bin doch ehrlich zu Ihnen. Fassen Sie sich … und geben Sie mir das Papier. Es schickt sich nicht, dass ich auch nur einen Augenblick länger bleibe.»
    Don Celzani war wie versteinert. Aber die Angst, allein in der Wohnung zurückzubleiben, mit der Verzweiflung über diese Zurückweisung im Herzen, rüttelte ihn gleich wieder auf und ließ ihn einen letzten aussichtslosen Versuch unternehmen: «Lassen Sie sich wenigstens Zeit mit Ihrer Antwort! Denken Sie noch einmal darüber nach! Sagen Sie nicht endgültig Nein!»
    Eine leise Regung von Ungeduld überkam die Pedani. Sie machte einen Schritt vorwärts und streckte die Hand aus, um die Quittung an sich zu nehmen. Instinktiv fasste der Sekretär ihre Hand, und eine Art Schwindel ergriff ihn: Er fiel mit einem Mal auf die Knie, blind und flehend wand er sich wütend um ihre Knie, rieb das verkrampfte Gesicht an ihrem Kleid. Das dauerte allerdings nur einen Augenblick: Zwei flinke Hände lösten seine verschränkten Finger und stellten ihn mit einem männlich kräftigen Ruck auf die Beine; er war völlig benommen.
    «Signor Celzani», sagte die Maestra streng, eher belästigt als empört, «so etwas gehört sich mir gegenüber nicht.» Und nach einer Pause fügte sie hinzu: «Das sei ein für alle Mal gesagt.»
    Aber der Sekretär überhörte ihre Worte. Der grenzenlose Schmerz der Zurückweisung, die Scham, die Angst vor der Zukunft waren einen Augenblick lang völlig ausgelöscht von dem tiefen und heftigen Gefühl dieser Umarmung, der geheimnisvollen Offenbarung von Schätzen, die seine Vorstellungskraft überstiegen und ein Staunen wie angesichts der Berührung mit dem Übermenschlichen in ihm zurückließen.
    Er kam wieder zu sich, als er die Pedani auf die Tür zugehen sah. Mit schwankenden und ungestümen Schritten holte er sie ein, doch einen Schritt vor ihr machte er halt. Sie hatte schon die Hand auf der Türklinke. Sie zog sie zurück und sah ihn an, mit einem nachsichtigen Lächeln, dann reichte sie ihm mit strikt kameradschaftlicher Geste die Hand, um diesem Zugeständnis jede zärtliche Bedeutung zu nehmen. Der Sekretär begriff und reichte ihr die seine. Sie war wie tot.
    Sie wurde wieder ernst und sagte: «Wir sind uns also einig … Nie mehr.»
    Wie ein Idiot wiederholte er mechanisch: «Nie mehr.»
    Er begleitete sie nicht.
    Als sie das Vorzimmer durchschritt, hörte die Lehrerin eine lange, dumpfe Klage, wie ein zwischen Fäusten ersticktes Stöhnen, dann ein rasches Gepolter von Füßen, ähnlich dem Stampfen eines scheuenden Lasttiers; mitleidig den Kopf schüttelnd ging sie hinaus.
    Von diesem Tag an war Don Celzani ein anderer. Er passte die Maestra nicht mehr im Stiegenhaus ab, er rauchte Virginiazigarren, verkehrte im nahe gelegenen «Café Monviso», besuchte das «Alfieri-Theater», legte sich eine legerere Gangart zu, er erledigte seine Aufgaben als Sekretär mit nie gekanntem Eifer, als hätte sich der Besitz des Commendatore auf einmal verdreifacht, und er trieb die Extravaganz so weit, dass er seine ewig gleiche schwarze Seidenkrawatte durch eine türkisfarbene ersetzte, die ihm ein geradezu keckes Aussehen verlieh. Alle Mieter bemerkten diese Veränderungen. Manchmal hörten sie ihn auf der Treppe trällern, sie sahen ihn beschwingt hinauf- oder hinunterhüpfen, sie trafen ihn auf der Straße in Gesellschaft von Gleichaltrigen, was man nie bei ihm erlebt hatte, er gestikulierte, setzte ein anderes Gesicht auf und nahm Bewegungen und Haltungen eines ehemaligen Priesters an, der sein früheres Wesen verbergen will.
    Nur Ingenieur Ginoni kannte den Grund für diese Veränderungen und amüsierte sich darüber. Als er ihn traf, sagte er zum Sekretär:
    « ‹ Es verging der Zauber,
    und es zerfiel mit ihm in tausend Stücke
    das Joch.

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