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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Sternberg
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Irgendjemand musste über das Telefonkabel gestolpert sein und einfach nicht bemerkt haben, dass es sich dabei gelockert hatte.
    Ich zog ihn noch einmal ganz heraus und steckte ihn mit einer entschlossenen Bewegung wieder hinein.
    Fast im selben Augenblick begann das Klingeln, und binnen einer Stunde war der restliche Juni ausgebucht.
    » Also, Herr Kredel, dann freuen wir uns auf Sie im Juli! Bis dann!«, plaudere ich munter in den Hörer und lege auf. Doch es klingelt sofort weiter. » Pension Alrein, Sophie von Hardenberg, was darf ich für Sie tun? … Nein, nächstes Wochenende leider nichts mehr … Oh, da muss ich Sie leider enttäuschen … erst wieder im Juli …«
    Es mag nur eine Nebensächlichkeit sein, aber es ist eine Beobachtung, die ich wirklich interessant finde: Je rarer die freien Zimmer werden, umso bereitwilliger akzeptieren die Gäste die widrigsten Bedingungen. Sie nehmen sich Urlaub, sie nehmen sich Mietwagen, sie geben ihre Kinder bei Verwandten ab und hinterlassen Haustiere bei Nachbarn. Gestern Abend zum Beispiel zeigte sich ein Kunsthistoriker-Paar sofort bereit, sich auf der Stelle ins Auto zu setzen und von Frankfurt nach Südtirol zu heizen, nur, weil es von heute auf morgen noch ein freies Zimmer gab.
    Jetzt verstehe ich auch, warum manche Menschen für eine ultra-rare Chloé-Tasche Zehntausende Euro bezahlen, selbst dann, wenn die Tasche aussieht, als würde sie aus dem Fundus einer rumänischen Großmutter stammen. Ich glaube, ich habe gerade einen nicht eben unbedeutenden Fehler in den gängigen Theorien der freien Marktwirtschaft entdeckt: Nicht das Angebot bestimmt die Nachfrage, sondern der Mangel!
    » So, Herr von Werthern, dann habe ich das notiert … Ja, prima, wir freuen uns auf Sie! Bis August! Auf Wiedersehen!«
    Okay, ich gebe zu: Das mit der abgezockten Rezeptionistinnen-Freundlichkeit gelingt mir von Mal zu Mal schlechter. Meine Kiefer sind vom vielen Grinsen schon völlig verkrampft. Ich meine, so geht das hier seit Stunden! Vielleicht sollte ich mich langsam mal ablösen lassen.
    Ja, das sollte ich tun. Ich sollte Frau Jirgl bitten zu übernehmen.
    Bevor das Telefon erneut losklingelt, hebe ich den Hörer ab, lege ihn neben den Apparat und springe die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Kurz vor der Tür zur Gaststube bremse ich ab und komme erst mal zu Atem.
    Denn die Sache mit Frau Jirgl ist … so eine Sache.
    Wie soll ich sagen …
    Es ist ja nicht so, dass sie sich keine Mühe gäbe. Gestern zum Beispiel, da arbeitete sie durchaus mit Eifer. Sie hat von ganz alleine die Wäsche von der Leine genommen, und das Beste daran war: Man musste fast kein Stück noch einmal neu und ordentlich zusammenlegen. Oder heute: Heute hat sie angefangen, noch einmal die Gaststube zu putzen und in allen Zimmern noch einmal durchzuwischen, und ich musste sie nur einmal bitten, wirklich, nur ein einziges Mal, sich auch noch die Bäder vorzunehmen.
    Aber manchmal … Manchmal ist sie auch träge und vergesslich, und man muss ihr alles dreimal sagen und kann sich dann immer noch nicht darauf verlassen, dass sie ihre Aufgaben erledigt. Neulich habe ich sie angesprochen und gefragt, ob etwas nicht in Ordnung sei, aber da hat sie nur den Kopf gesenkt und ist losgelaufen, um sich an die Arbeit zu machen.
    Auf alle Fälle habe ich beschlossen, ihr nicht sofort wieder mit Kündigung zu drohen, sondern sie lieber so lange zu loben und zu ermutigen, bis sie eines Tages ihre Arbeit richtig gerne macht.
    Na ja, und dann ist da noch ihr Outfit. Die weiße Schürze hat das eitle Ding nach dem Shooting natürlich kein einziges Mal mehr angezogen. Egal, was sie tut, sie tut es in hochhackigen Schuhen, die vor Reißverschlussapplikationen und Nietenbesatz so laut klimpern, dass ich jedes Mal kurz hochschrecke, weil ich denke, das Christkind sei ein halbes Jahr zu früh dran. Dazu trägt sie entweder Leggins oder Röcke, die so kurz sind, dass man, wenn sie etwas vom Boden aufhebt, freie Sicht auf ihren Gebärmutterhals hat. Aber auch dazu habe ich eine Haltung gewonnen. Ich musste mich nur daran erinnern, dass ich schließlich aus jener deutschen Großstadt stamme, die die Reeperbahn erfunden hat. Und immerhin: Was hätte ich wohl gesagt, wenn Olaf Schwarz mich zum Beispiel umgekehrt gezwungen hätte, mich in schwarze Seidenblusen, hautenge Jeans und High Heels zu zwängen, nur, damit ich meinen Job behalte?
    Eben.
    » Frau Jirgl?« Ich öffne die Tür zur Gaststube und trete ein.
    » Ja?«, antwortet

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