Liebe und Marillenknödel
Rasenmäher.
» Sophie?«
Da ist sie endlich. Endlich.
» Hey, Sarah!«
» Sophie, wir haben heute zum zweiten Mal die Michelin-Tester da. Du weißt, was das heißt, oder? Bei uns ist gerade Ausnahmezustand.«
» Ja, Sarah, es geht ja auch ganz schnell …«
» Ich kann jetzt nicht, wirklich.«
» Nur ganz kurz, bitte!«
» Sophie, ich ruf dich später zurück, ja? Drück uns die Daumen.«
Klack, weg ist sie.
Ich glaub es nicht.
Ich …
Ich muss aber mit ihr sprechen. Sie muss mir sagen, was ich machen soll!
Ich drücke die Wahlwiederholungstaste. Es dauert quälend lange, bis sich der Apparat durch die Telefonnummer gewählt hat. Als er fertig ist, ertönt ein hektisches Tuten. Besetzt. Ich lege auf und versuche es noch einmal, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist. Ich kann den Hörer ganz genau sehen, wie er in einer Küche im fernen Norddeutschland an einem Wandapparat hängt und leise hin- und herschwingt.
Weh mir, oh weh.
Jetzt bleibt mir nur noch eines.
19
Eine allerletzte Portion muss ich noch servieren.
» So, heute gibt es etwas Mediterranes! Bitte schön – und einen guten Appetit!«, sage ich und platziere den Teller vor Herrn Schubert, der sich die Serviette wie einen Latz um den Hals geknotet hat. Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln, er nimmt Messer und Gabel zur Hand und zwinkert mir zu. Ich zwinkere zurück. Herr Schubert ist bis jetzt mein Lieblingsgast, glaube ich. Er ist ein Dichter aus Innsbruck, leider erfolglos, wie er sagt. Nach Alrein ist er aus Inspirationsgründen gekommen. Zwar saß er bloß stundenlang auf der Terrasse und hat einen Hugo nach dem anderen gezwitschert, aber offensichtlich hat er dabei tatsächlich gedichtet – denn vorhin hat er mir sein neuestes Werk vorgetragen:
G eharnischt die Gipfel im Morgenlicht. Die Blätter der Linde wie Scherben. Noch ist der Tag ganz aus Glas, klar, konturiert, doch Momente und Tage zerspringen.
So oder so ähnlich ging es. Der Witz daran ist, dass er das Gedicht am späten Nachmittag verfasst hat. Er hat dreist gefaked, das macht ihn mir irgendwie sympathisch.
Ich sehe mich noch einmal in der Gaststube um. Acht Tische sind heute Abend besetzt, morgen wird es dann richtig voll, alle elf Zimmer sind reserviert.
Die Gäste sehen nicht aus, als würde sie irgendetwas an meinem Essen stören – noch nicht. In möglichst unauffälligem Tempo stehle ich mich zurück in die Küche und lehne mich, als ich endlich drinnen bin, von innen gegen die Tür. Ich glaube immer noch nicht an Gott, aber wenn ich diesen Abend überstehe, lasse ich mit mir reden.
Ich halte den Atem an und lausche. Aus der Gaststube dringt Geschirrgeklapper und munteres Stimmengewirr.
Niemand schreit. Niemand fegt seinen Teller vom Tisch. Sie scheinen das Zeug tatsächlich zu essen.
Uffz.
Nein, nix Uffz.
Noch kann ich es mir nicht erlauben, erleichtert zu sein. Noch kann alles Mögliche passieren. Zum Beispiel könnte jemand auf eine der Knoblauchzehen beißen, die ich vorhin nicht mehr gefunden habe. Oder auf eines der Pfefferkörner, die mir beim Befüllen der Mühle in den Topf gekullert sind. Oder auf was weiß ich. Ich kann nicht behaupten, den Kochvorgang zu jedem Zeitpunkt unter Kontrolle gehabt zu haben. Und: Ich bin alles andere als überzeugt davon, dass das Kraut, das ich vorhin im Garten gepflückt habe, tatsächlich Rosmarin war und nicht irgendeine Giftpflanze, die schon bei geringer Dosierung zu Atemlähmung führt. Wer kann das in diesen Höhenlagen schon wissen? Also. Sicher bin ich erst, wenn um Mitternacht noch alle Gäste leben und halbwegs guter Laune sind.
Na ja, wenigstens wird das Essen niemandem zu schwer im Magen liegen, denn diesmal hatte ich mir zwar vorgenommen, Zwiebeln ins Essen zu geben, es in der ganzen Hektik aber schlichtweg vergessen.
Außerdem habe ich mir immer noch nichts fürs Dessert überlegt. Und das Dessert ist, das weiß jeder, bei einem Menü das Wichtigste. Gerade in der Alpenregion sind alle immer völlig versessen darauf. Tante Johanna wusste ein Lied davon zu singen: Kaum haben die Leute ein paar Höhenmeter zu Fuß absolviert, schon müssen sie sich riesige Portionen Marillenknödel unter einer dicken Schicht aus buttrigen, knusprigen Bröseln in die Fressluke schaufeln.
Dummerweise gibt es unter Jirgls Einkäufen keine Marillen. Und Äpfel leider auch nicht. Ich sehe zur Sicherheit noch einmal alles durch, aber da sind keine. Na ja, vielleicht besser. Apfelstrudel kann ich ohnehin fürs Erste
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