Liebe und Verrat - 2
Behauptung schockiert ihn sichtlich. »Erst gestern hast du dich über die Behandlung geärgert, die wir beide von den unwissenden Bewohnern der Insel erfahren müssen.«
»Und du hast mir gesagt, ich solle Geduld haben.« Jetzt flüstere ich nicht mehr, aber ich kann einfach nicht anders.
Er verschränkt die Arme vor der Brust und wirkt in diesem Moment wie ein schmollendes Kind. »Ja … schon, aber ich habe ihre neugierigen Blicke und ihr boshaftes Flüstern satt. Das kannst du doch wohl verstehen, oder nicht? Und es ist durchaus möglich, dass du die nächste Herrin von Altus bist. Sie haben kein Recht, dich so zu behandeln. Ich werde es nicht dulden.«
Der Zorn verfliegt genauso schnell, wie er gekommen ist. Wie kann ich auf jemanden böse sein, der mir so sehr zugetan ist, dass er auf diese Weise für mich eintritt?
»Dimitri.« Ich strecke die Arme aus und lege sie um seinen Hals. »Ich weiß nicht, ob ich die nächste Herrin von Altus bin, aber ich glaube, ich begreife langsam, dass ich immer eine Schwester sein werde. Und ob als einfache Schwester oder als Herrin über Altus, es ist meine Aufgabe, mir den Respekt der Brüder, der Grigori und der anderen Schwestern zu verdienen. Das ist etwas, das nur ich allein tun kann, und es ist durchaus möglich, dass es lange dauern wird.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn flüchtig auf den Mund. »Aber wenn du sie zwingst, mir Respekt entgegenzubringen – Respekt, den ich mir nicht aus eigener Kraft verdient habe –, sorgst du nur dafür, dass sie mich umso mehr ablehnen.«
Er atmet aus, als sei er völlig erschöpft. »Du bist viel zu klug für eine Schwester, die erst seit so kurzer Zeit auf der Insel ist. Altus kann sich glücklich schätzen, dich hier zu haben, ob als einfache Schwester oder als zukünftige Herrin.« Er senkt den Kopf und küsst mich sanft. »Und ich auch.«
»Ja, du lieber Himmel!« Luisa steht ein paar Schritte von uns entfernt. »Es ist ja unglaublich süß, dass ich gerade Zeugin eures ersten Streits und eurer ersten Versöhnung sein durfte, aber können wir jetzt bitte, bitte zu Sonia gehen? So interessant sind die Bilder hier an den Wänden nämlich nicht.«
Ich lache und löse mich aus Dimitris Armen. »Also schön. Gehen wir.«
Kurz bevor wir die Glastür und damit das Ende des Gangs erreichen, biegen wir rechts in einen weiteren Gang ab. Ohne zu zögern, nähert sich Dimitri einer schmucklosen Holztür. Eine ältere Schwester sitzt auf einem Schemel davor – vermutlich ebenfalls eine Wache, wenn auch von anderer Art. Sie bestickt ein zartes weißes Tuch mit einem glänzenden grünen Faden.
»Schwester.« Dimitri verneigt sich und Luisa und ich tun es ihm nach.
Die Schwester erwidert die Verbeugung und diesmal wird mein Blick von gütigen und freundlichen Augen aufgefangen. Sie sagt kein Wort, sondern steht auf und öffnet die Tür. Dann bedeutet sie uns, einzutreten, und schließt die Tür hinter uns wieder. Sie selbst bleibt draußen auf dem Gang.
Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber bestimmt nicht diesen warmen, einladenden Raum, in dem Sonia ihre Tage verbracht hat, seit wir auf Altus eintrafen. Er ist ziemlich groß. An einem Ende steht ein Sofa mit zahlreichen Kissen und am anderen ein großes Bett mit warmen Decken. In der Wand gegenüber der Tür, durch die wir gerade eintraten, befinden sich die beiden Doppeltüren, die mir mittlerweile aus den anderen Schlafräumen vertraut sind. Diese hier führen auf einen Innenhof voller Blumen hinaus. Instinktiv weiß ich, dass ich nur in diesen Hof gehen muss, um Sonia zu begegnen. Und ich steuere geradewegs darauf zu, ohne zu zögern.
Über die Schwelle zu treten ist, als würde man in eine andere Welt gelangen. Die Bepflanzung des Innenhofs ist ähnlich angelegt wie der kleine Vorgarten entlang des Pfades zum Eingang in das Gebäude. Ich sehe Hortensien und Pfingstrosen sowie Jasmin. Die Meeresbrise macht die Luft weich und duftend. Sie ist in allem eingebunden, was man hier auf Altus vorfindet, liegt in jedem einzelnen Atemzug, und ich glaube nicht, dass ich mich jemals wieder fern von ihr zu Hause fühlen werde.
Durch das entfernt klingende Brausen der Brandung kann man andere Wassergeräusche hören. Dimitri hebt fragend die Brauen, und ich gehe den Kiesweg entlang, folge ihm um eine Ecke und lausche. Die Quelle des Geräusches ist ein kleiner Springbrunnen im Zentrum des Hofs. Das Wasser plätschert über einen hoch aufgeschichteten
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