Liebe und Verrat - 2
ich es nur so empfinde, weil ich so lange kein richtiges Bad mehr genommen habe, oder ob es tatsächlich so war, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, schon einmal ein so köstliches Badeerlebnis genossen zu haben. Das Gefühl der glatten, kühlen Seidenrobe auf meiner sauberen, duftenden Haut ist einfach himmlisch.
Ich drehe mich zu Luisa um. »Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich reise morgen ab, schon vergessen?«
Ich habe Luisa erklärt, dass Dimitri und ich mit der Aufgabe betraut wurden, die fehlenden Seiten zu holen, während sie hierbleiben soll, um sich um Sonia zu kümmern.
Luisa spielt mit den Falten ihres Gewands. Die fliederfarbene Seide in ihren Fingern schimmert. »Du könntest so lange warten, bis es ihr gut genug geht, um nach London zurückzukehren.«
Ich schüttele den Kopf. »Das geht nicht. Sonia ist unsere engste Freundin, und ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich sie vor meiner Abreise nicht besuchen würde. Wenn du an ihrer Stelle wärst, würde ich genauso handeln.«
Luisa seufzt. »Also schön. Ich werde dich begleiten.«
»Ich würde es verstehen, wenn du noch warten willst. Ich weiß, dass es nicht einfach sein wird, Sonia in diesem Zustand zu sehen.«
Sie greift nach meiner Hand. »Ich werde dich nicht im Stich lassen. Weder jetzt noch in Zukunft. Wir stehen das gemeinsam durch.«
Ich lächle und drücke ihre Hand, genau in dem Moment, in dem es an die Tür klopft. Auf meine Aufforderung hin öffnet sie sich einen Spalt und Dimitris dunkles Haupt schiebt sich hindurch.
»Guten Morgen. Zum zweiten Mal.« Er grinst.
Wieder verdreht Luisa die Augen. »Komm schon, Lia. Gehen wir, bevor Dimitri auf die Idee kommt, es sich wieder gemütlich zu machen.«
Dimitri bietet mir seinen Arm dar. »So, so. Ihr amüsiert euch scheinbar königlich auf meine Kosten. Das haben wir gern.«
Ich lache und küsse ihn auf die Wange. Wir laufen durch den Gang und nicken den uns Entgegenkommenden freundlich zu. Viele Blicke wandern von mir zu Dimitri und zu unseren untergehakten Armen, und dann zieht ein ärgerlicher Schatten über die Gesichter. Aber ich weigere mich, meinem Unmut, der mir fast auf der Haut juckt, Worte zu verleihen. Heute habe ich weiß Gott an Wichtigeres zu denken.
»Wie geht es Sonia, Dimitri? Hast du Neuigkeiten für mich?« Ich möchte auf alles vorbereitet sein.
»Ich habe mich heute Morgen über die jüngsten Entwicklungen informiert. Die Ältesten haben den Eindruck, dass ihnen eine Wende gelungen ist. Sie sind noch nicht bereit, sie als gesund zu entlassen, aber sie hat in den vergangenen vierundzwanzig Stunden weder die Seelen noch das Medaillon erwähnt.«
Aber das heißt nicht, dass sie verschwunden sind. Dass sie nicht in irgendeinem dunklen Winkel ihres Geistes lauern.
Und ich frage mich, ob es mir jemals wieder gelingen wird, Sonia gänzlich zu vertrauen.
Wir erreichen das Ende des offenen Gangs. Dimitri führt uns unerwarteterweise über eine kleine Treppe nach unten, statt um die Ecke zu biegen und das Heiligtum zu betreten.
»Wohin gehen wir?«, fragt Luisa und schaut zu dem Gebäude zurück, in dem wir untergebracht sind.
Dimitri schwenkt auf denselben Pfad ein, der uns gestern Nachmittag zur Bucht geführt hat. »Zu Sonias Aufenthaltsort.«
»Und wo ist der?«, will Luisa wissen.
»Woanders«, gibt Dimitri zurück. »In einem anderen Gebäude.«
Luisa lässt sich ungern mit vagen Informationen abspeisen, aber zu meiner Überraschung und Erleichterung seufzt sie nur und schaut im Laufen über die üppigen Felder hinaus zum Meer.
Der Himmel ist von dem gleichen unglaublich tiefen, klaren Blau wie jeden Tag, den ich hier auf Altus erlebt habe, und ich überlege, ob ich dieser Farbe den Namen Altus-Blau geben soll. Wir gehen weiter, bis ich die Stelle erkenne, wo mich Dimitri vom Pfad weg zur Bucht gezogen hat. Diesmal allerdings gehen wir weiter, während sich der Pfad langsam zum Meer hinabneigt.
Wie gestern ist dieser Teil der Insel menschenleer. Eine ganze Zeit lang kann ich nichts entdecken, was einer menschlichen Behausung auch nur ähnlich sieht, und ich frage mich gerade, ob die Ältesten Sonia womöglich in einer Höhle untergebracht haben, als mir ein kleines Steingebäude am Rand einer Klippe vor uns auffällt.
Ohne es zu wollen, rutscht meine Hand von Dimitris Arm und ich bleibe stehen. Wenn ich mir dieses Gebäude so betrachte, dann kommt es mir wie ein Wunder vor, dass es überhaupt dort stehen kann, so nah am Rand der Klippe
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