Liebe, unendlich wie das Meer
drinnen war alles farbenfroh gestrichen, überall standen echte Grünpflanzen, und in einer großen Voliere tummelten sich Zebrafinken.
Alex wurde vom Pflegepersonal und einigen Patienten gleichermaßen wie ein alter Bekannter begrüßt. Er erkundigte sich teilnahmsvoll nach dem Enkel einer der Schwestern, der einen schweren Autounfall gehabt hatte, und steckte ihr ein kleines Buch über Seemannsknoten zu, das er aus der Innentasche seiner Jacke zog.
„Er hat doch demnächst Geburtstag“, meinte er lächelnd. „Da kann er schon mal üben, damit ich ihn bald in meine Crew aufnehmen kann.“
Die Schwester drückte bewegt seinen Arm und tupfte sich die Augen.
Schließlich folgte Cass ihm ins Zimmer seiner Großmutter und hielt sich im Hintergrund, um ihm etwas Privatsphäre zu geben. Dennoch fiel es ihr schwer, den Blick von ihm abzuwenden. Er beugte sich über die alte, schlafende Dame und hauchte einen Kuss auf ihre Schläfe, hielt dann ihre Hand so vorsichtig, als wäre sie zerbrechlich.
„Ich arbeite an einigen von Dads Bootsplänen“, hörte sie ihn sagen. „Meinst du, das freut ihn?“
In dem gedimmten Licht wirkte sein Gesichtsausdruck ernst, doch Cass erkannte etwas darin, das ihr fast das Herz brach. So musste er als kleiner Junge ausgesehen haben. Unbelastet von allem, an dem er jetzt so schwer trug, offen und voller Liebe.
Cass schloss die Augen und lehnte sich an die Wand. Oh nein. Sie war dabei, sich in Alex Moorehouse zu verlieben.
Als hinter ihr etwas klapperte, drehte sie sich um und sah ein gerahmtes Foto an der Wand, das einen jungen Mann zeigte.
„Mein Vater“, erklärte Alex leise.
„Ihr seht euch sehr ähnlich.“
Er streckte die Hand aus und hängte das Bild wieder gerade, wobei er leicht über den Rahmen strich.
„Es tut mir so leid“, sagte sie unvermittelt.
„Was denn?“
„Dass du deine Eltern so früh verloren hast. Gray hat mir erzählt, was passiert ist. Es muss sehr schwer für euch alle gewesen sein.“
Sie erwartete, dass er wie immer die Schultern zucken und sich abwenden würde, doch stattdessen murmelte er: „Würdest du etwas anders machen, wenn Reese zurückkäme?“
Die überraschende Frage ließ sie zögern, dann sagte sie: „Ja. Ja das würde ich.“
„Und was?“
„Ich würde ihn öfter wissen lassen, was ich denke.“
Und das, obwohl es sicherlich das Ende ihrer Ehe bedeutet hätte. Wenn sie offen über seine Untreue gesprochen hätten, wäre sie danach nicht bei ihm geblieben. Am Ende war ihre Ehe eine Lüge gewesen. Der Gedanke gefiel ihr ganz und gar nicht.
„Ich auch“, sagte Alex. „Ich habe meinem Vater nie gesagt, wie viel er mir bedeutet. Meiner Mutter auch nicht. Und ich würde viel mehr Zeit mit meiner Familie verbringen … Wollen wir gehen?“
Auf der Heimfahrt bemerkte Cass: „Du kümmerst dich wirklich sehr lieb um deine Großmutter.“
Alex’ Miene umwölkte sich. „Und das verdanke ich alles meinem Unfall. Sonst hätte ich Grand-Em vielleicht nicht mehr lebend gesehen. Wenn ich nicht gezwungen gewesen wäre, nach Hause zu kommen, hätte ich vielleicht sogar Frankies und Joys Hochzeiten verpasst. Das ist doch krank, oder?“
„Segelregatten sind nun mal sehr zeitaufwendig“, erwiderte sie. „Sie hätten bestimmt Verständnis gehabt.“
„Aber warum sollten sie?“, rief er. „Mir ist erst jetzt klar geworden, wie unmöglich ich mich die ganze Zeit benommen habe und wie verständnisvoll sie sowieso schon waren. Als ich nach dem Unfall als Krüppel nach Hause kam, haben sie mich wie selbstverständlich aufgenommen und gepflegt, obwohl ich mich nach dem Tod unserer Eltern nie um sie gekümmert habe. Erfolg ist schließlich kein Freibrief. Frankie hat Joy großgezogen. Joy hat sich um Grand-Em gekümmert. Sie haben beide ihr eigenes Leben zurückgestellt, während ich mich auf den Weltmeeren rumtrieb. Wenigstens haben sie jetzt ihr Glück gefunden, sonst würde ich mich noch mehr schämen. Aber ich wünschte wirklich, ich könnte irgendwas tun, um das alles wiedergutzumachen.“
Er runzelte die Stirn, als merke er erst jetzt, wie viel er von sich preisgegeben hatte. Bevor Cass etwas sagen konnte, fuhr er übergangslos fort: „Könnten wir auf dem Rückweg beim Supermarkt anhalten?“
Sein plötzlicher Stimmungswechsel irritierte sie. Wie konnte jemand über so persönliche Dinge sprechen und im nächsten Moment so tun, als wäre nichts gewesen?
„Ja, kein Problem.“
Als sie schließlich mit den Einkäufen
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