Liebe unter Fischen
ärgerte Lisi. Denen war einfach alles egal! Aber dann versuchte sie, bewusst zu atmen, schließlich hatte sie darin ein Diplom. Den Kühen ist nicht alles egal, sagte sie sich. Nein, die Kühe ruhen in sich. So wie der Berg. Der Berg ist immer der gleiche. Er steht da, unverändert, unverwundet. Ob es regnet, schneit, ob es stürmt: Der Berg verändert manchmal seine Erscheinungsform. Aber es ist immer derselbe Berg.
Ruhe strömte durch Lisis gesamten Körper. Der Berg. Der Berg zu dessen Füßen ein See lag an dessen Ufer eine Hütte stand auf deren Holzbank Fred saß und auf sie wartete. Fred! Alfred Firneis!
Ruhig, Elisabeth. Atme.
Mich nervt das Atmen!
Ruhig, Elisabeth. Gedanken kommen, Gedanken gehen. Lass sie ziehen.
Lass mich in Ruhe mit dieser ganzen Meditations-Scheiße!
In deinem Herzen geht die Sonne auf. Sie zaubert ein Lächeln auf deinen Mund.
Oder auch nicht.
Die Sache mit der Ruhe wollte einfach nicht gelingen.
Lisi setzte sich mit einem Stoßseufzer an das Katzentischchen in ihrem Zimmer. Sie nahm ihren Schreibblock und den Kugelschreiber, überblätterte ihre ganzen Pseudo-Notizen über das Verhalten von Fischen und begann, eine Liste zu schreiben. Den Trick mit den systematischen Listen hatte sie von Susanne, nur schaffte Lisi es selten, systematisch zu bleiben, und so endeten ihre Listen regelmäßig im Chaos.
» Fakten«
1 ) Ich bin verliebt in Alfred Firneis.
2 ) Das ist ein Problem, weil ich nicht ich (Lisi) bin, sondern Mara.
3 ) Warum muss ich mich ausgerechnet in einen Mann verlieben, wenn ich nicht ich bin?!
Punkt drei strich Lisi wieder durch. Das gehörte nicht zu den Fakten. Sie überlegte noch, aber weitere nennenswerte Tatsachen fielen ihr nicht ein. Also schrieb sie einen zweiten Titel auf die Seite: » Möglichkeiten und Folgen«
1 ) Ich gehe zu Fred und sage ihm die Wahrheit. Ich sage ihm, ich bin nicht Mara, sondern Lisi. Ich sage ihm, seine Verlegerin hat mich bezahlt, aber ich bereue alles sehr und liebe ihn fortan als Lisi.
» Folgen«
a) Fred könnte sehr verletzt sein über diesen Missbrauch des Vertrauens. Verletzt von Susanne und von mir.
b) Fred verzeiht mir und liebt mich auch. Dann könnten wir Susanne alles erklären. Oder wir verpassen Susanne gemeinsam einen Denkzettel, weil sie so doofe Ideen hat.
c) Fred bin ich egal. Er ist sauer auf Susanne, und sie auf mich.
2 ) Ich behalte alles für mich und reise ab. Ich verschwinde einfach, ohne Fred etwas zu sagen. Vorteil: Ich verletze den Vertrag nicht und wahre mein Gesicht.
Folge: Ich werde Fred nie wieder sehen. Folge: Das kränkt mich und wahrscheinlich auch Fred.
Lisi dachte weiter nach. Aber es fiel ihr nicht mehr viel ein. Außer:
» Unmögliche Möglichkeiten«
1 ) Ich bin ab jetzt Mara aus Zvolen in der Mittelslowakei. Ich könnte immer wieder auf Dienstreisen nach Berlin oder nach Grünbach kommen, ganz egal. Und falls Fred einmal meine Familie kennenlernen will, muss ich das entweder verhindern oder für ein paar Tage eine Familie chartern. Vorteil: Ich kann in Freds Nähe bleiben. Nachteil: Ich betrüge ihn weiter und verstricke mich immer tiefer. Außerdem sehr anstrengend.
2 ) Ich könnte sagen, Mara ist meine Zwillingsschwester, die jetzt nach Zvolen zurückgekehrt ist. Aber ich, Lisi, habe nun Zeit für Fred und übernehme die Schicht. Nachteil: Wenig glaubwürdig.
3 ) Ich könnte so tun, als wäre ich unter Drogen gewesen oder hätte eine kurzfristige Bewusstseinsspaltung erlitten. Ich könnte vorschützen, mich gar nicht an Mara erinnern zu können. Nachteile: Wird er Lisi auch mögen? Ist Mara nicht die viel bessere Lisi? Ist eine Bewusstseinsspaltung sexy?
Das Schreiben machte Lisi ruhiger. Schreiben beruhigte sie schon seit ihrer Kindheit. Da war sie Fred ganz ähnlich. Überhaupt, Fred! Fred …
Was würde Fred weniger verletzen – der schnöde Betrug oder das wortlose Verschwinden? Zweifellos das Verschwinden, dachte Lisi. Sie musste weg, so weh es auch tat. Die eigene Liebe zu opfern aus Liebe zu Fred: Das blieb die edelste Möglichkeit. Die einzige Möglichkeit.
» Zusammenfassung«
Ich muss meinen Fehler büßen, indem ich auf die Liebe zu ihm verzichte, und zwar aus Liebe zu ihm.
Lisi packte hastig ihre Sachen zusammen. Das gelbe Kleid. Den schwarzen und den weißen Bikini. Den Schreibblock. Ihrer verwunderten Zimmerbesitzerin erzählte sie etwas von einem wichtigen Termin in Berlin. Sie bedankte sich für das schöne Zimmer und für das Moped. Sie setzte
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