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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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gesehen hatte und nichts über sie wusste.
    Er schien weniger erstaunt als Roly gestern Abend, warf mir allerdings einen nachdenklichen Blick zu und sagte: »Sie sind sehr jung. Sie haben etwas von Ihrer Mutter. Anfangs dachte ich, da sei nichts, aber jetzt sehe ich es.«
    »Und wer ist Ihrer Meinung nach der Liebhaber von Mrs Chaddesley Corbett?«, fragte ich. Sie interessierte mich in diesem Augenblick mehr als meine Mutter, und außerdem war ich wie berauscht von dieser Unterhaltung, die sich immerzu um Liebhaber drehte. Natürlich wusste man, dass es sie gab – schon wegen des Herzogs von Monmouth und so weiter –, aber so nah, mit ihnen unter einem Dach, es war wirklich aufregend.
    »Eigentlich ist es vollkommen gleichgültig«, sagte er. »Wie all diese Frauen lebt sie in einer winzigen Gruppe, einer Clique, und früher oder später wird innerhalb dieser Clique jeder zum Liebhaber von jedem anderen, und wenn sie ihre Liebhaber wechseln, dann ist das eher wie eine Kabinettsumbildung, nicht wie eine neue Regierung, die alten Karten werden neu gemischt, verstehen Sie?«
    »Ist es in Frankreich genauso?«, fragte ich.
    »In den höheren Kreisen? Überall auf der Welt ist das so, allerdings kommt es in Frankreich im Großen und Ganzen seltener zu Kabinettsumbildungen als in England, die Minister bleiben länger auf ihrem Posten.«
    »Warum?«
    »Warum? Die meisten Französinnen behalten ihre Liebhaber, wenn sie es wollen, sie bedienen sich dabei einer unfehlbaren Methode.«
    »Was Sie nicht sagen! Oh, erzählen Sie!«
    Die Unterhaltung mit ihm faszinierte mich von Minute zu Minute mehr.
    »Es ist ganz einfach. Man muss in jeder Beziehung nachgeben.«
    »Du liebe Güte!«, sagte ich und dachte angestrengt nach.
    »Verstehen Sie, diese englischen femmes du monde , diese Veronicas und Sheilas und Brendas, auch Ihre Mutter – obwohl man von ihr nun wirklich nicht behaupten kann, sie würde in einer einzigen kleinen Clique leben, hätte sie das getan, dann wäre sie jetzt nicht so déclassée –, diese Frauen haben eine andere Methode. Sie geben sich stolz und abweisend, sind ausgegangen, wenn das Telefon klingelt, sind verhindert, wenn man sie zum Essen einlädt, außer man meldet es eine Woche vorher an – kurz, elles cherchent à se faire valoir , und das gelingt nie. Selbst Engländern, die nichts anderes kennen, gefällt es nach kurzer Zeit nicht mehr. Und ein Franzose würde sich natürlich nicht einen Tag darauf einlassen. Deshalb wird immerzu neu gemischt.«
    »Es sind sehr boshafte Frauen, nicht wahr?«, fragte ich. Diese Ansicht hatte ich mir am Abend vorher gebildet.
    »Ganz und gar nicht, die Armen! Sie sind les femmes du monde, voilà tout , ich liebe sie, man kommt so gut mit ihnen aus. Ganz und gar nicht boshaft. Und ich liebe auch la mère Montdore, sie und ihren Snobismus, wie amüsant. Ich habe viel übrig für Snobs, sie sind immer so charmant zu mir. Ich habe die Montdores in Indien besucht. Sie war charmant, und Lord Montdore tat so.«
    »Tat so?«
    »Dieser Mann besteht doch nur aus Verstellung, wie so viele dieser steifen alten Engländer. Er ist natürlich ein großer Feind meines Landes – arbeitet mit ganzer Hingabe an der Vernichtung des französischen Imperiums.«
    »Wieso denn das?«, fragte ich. »Ich dachte, wir wären jetzt alle Freunde.«
    »Freunde! Wie die Kaninchen und die Schlangen. Für Lord Montdore habe ich nichts übrig, aber er ist gerissen. Gestern Abend nach dem Dinner hat er mir hundert Fragen über die Rebhuhnjagd in Frankreich gestellt. Warum? Sie können sicher sein, dass er seine Gründe hatte!«
    »Finden Sie nicht auch, dass Polly ausgesprochen schön ist?«, fragte ich.
    »Ja, aber sie ist mir auch ein ziemliches Rätsel«, erwiderte er. »Vielleicht hat sie kein geregeltes Sexualleben. Ja, das ist es, bestimmt ist sie deshalb so verträumt. Ich muss sehen, was ich für sie tun kann – aber die Zeit ist so knapp.« Er sah auf seine Uhr.
    Ich erklärte in geziertem Ton, sehr wenige wohlerzogene englische Mädchen von neunzehn Jahren hätten ein geregeltes Sexualleben. Das meine, so viel wusste ich, war ganz und gar nicht geregelt, doch deshalb kam ich mir nicht besonders verträumt vor.
    »Aber was für eine Schönheit – selbst in diesem scheußlichen Kleid. Sobald ihr ein wenig Liebe zuteil geworden ist, könnte sie eine der großen Schönheiten unserer Zeit werden. Sicher ist es allerdings nicht, bei den Engländerinnen kann man nie wissen. Vielleicht stülpt
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