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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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zudrücken.«
    So fuhren Polly und ich am nächsten Morgen mit dem Wagen nach Oxford, und ich aß, wie ich es oft tat, mit Alfred im George zu Mittag. (Wenn ich Alfred in dieser Geschichte nie erwähne, so deshalb, weil er an anderen Menschen und ihrem Leben überhaupt kein Interesse hat und von den Vorgängen wahrscheinlich kaum etwas mitbekam. Jedenfalls war er nicht, wie wir anderen, mit Faszination bei der Sache. Ich vermute, dass ich und seine Kinder und vielleicht der eine oder andere intelligente Schüler real für ihn sind, im Übrigen aber lebt er in einer Welt der Schatten und abstrakten Gedanken.)
    Nach dem Lunch brachte ich eine eiskalte, entmutigende Stunde in meinem kleinen Haus zu, in dem sich die Handwerker anscheinend für immer festgesetzt hatten. Einigermaßen verzweifelt stellte ich fest, dass sie es sich neuerdings in einem der Zimmer gemütlich gemacht hatten, ein richtiges Haus im Haus, mit loderndem Feuer im Kamin, dampfendem Tee und Filmstars an den Wänden. So weit ich sah, verließen sie dieses Zimmer nie, um ihrer Arbeit nachzugehen, und eigentlich konnte ich es ihnen bei der furchtbaren Feuchtigkeit und Kälte, die im übrigen Haus herrschte, nicht einmal verübeln. Nach einer genauen Besichtigung mit dem Vorarbeiter, bei der nur noch mehr offene Rohrleitungen und noch weniger intakte Dielenböden als beim letzten Mal zum Vorschein kamen, trat ich in dem Zimmer, aus dem einmal mein Salon werden sollte, ans Fenster, um mich am Anblick des Christ Church College, das sich so prachtvoll von den schwarzen Wolken abhob, aufzurichten. Eines Tages, so dachte ich (und musste dazu die ganze Kraft meines Glaubens aufbieten), würde ich an ebendiesem Fenster sitzen, es würde weit offen stehen, und hinter dem College würde man grüne Bäume und blauen Himmel sehen. Ich blinzelte durch die vor lauter Schmutz und Kalkfarbe fast undurchsichtigen Scheiben und versuchte mir den Sommer vorzustellen, als unten auf der Straße, gegen den heftigen Ostwind ankämpfend, Polly und der Lektor in Sicht kamen. Es war kein fröhlicher Anblick, aber vielleicht lag es auch am Klima. Zielloses Bummeln, Hand in Hand unter warmem Himmel – für die bedauernswerten Liebenden in England gibt es so etwas nicht. Wenn die Umstände sie nötigen, ihrer Liebe außer Haus nachzugehen, dann haben sie nur die Wahl zwischen einem Spaziergang in zügigem Tempo und der betäubenden Stickigkeit des Kinos. Bald stapften die beiden wieder aus meinem Blickfeld, die Hände in die Taschen gestopft, mit hängenden Köpfen, trübselig.
    Bevor ich mich auf den Rückweg nach Alconleigh machte, ging ich noch zu Woolworth, denn Jassy hatte mir aufgetragen, ein Goldfischglas für ihren Froschlaich mitzubringen. Ihr altes hatte sie tags zuvor zerbrochen, die kostbare Gallerte aber noch gerade in das Bad des Gästezimmers gerettet. Alfred und ich mussten deshalb das Kinderbadezimmer benutzen, bis Jassy ein neues Glas hatte. »Du siehst, es ist in deinem eigenen Interesse, Fanny, wenn du es nicht vergisst.«
    Bei Woolworth fand ich dann, wie es einem so ergeht, noch andere Dinge, die ich brauchte, und plötzlich stand ich vor Polly und Boy. Er hatte gerade eine Mausefalle in der Hand, aber ich glaube, vor allem suchten sie Schutz vor dem Wind.
    »Fahren wir bald?«, fragte Polly.
    »Was meinst du?« Ich war todmüde.
    »Kommt, wir gehen!«
    Also gingen wir zu dritt zum Clarendon Yard, wo unser Wagen und auch der von Boy warteten. Der Lektor war noch immer stark erkältet, bot, wie ich fand, einen höchst unerfreulichen Anblick und wirkte überhaupt sehr verdrießlich. Als er mir zum Abschied die Hand gab, drückte er sie nicht zum zweiten Mal, und er streichelte oder kitzelte uns auch nicht an den Beinen, als er die Decke für uns feststeckte, was er bestimmt getan hätte, wenn er einigermaßen wohlauf gewesen wäre, und als wir abfuhren, ging er einfach davon, ohne sich noch einmal umzusehen, ohne beschwingtes Winken, ohne boyhaftes Lockenschütteln. Er war an einem Tiefpunkt.
    Polly beugte sich vor, kurbelte die Scheibe zwischen uns und dem Chauffeur hoch und sagte: »So, alles geregelt, Gott sei Dank. Heute in einem Monat, wenn ich die Zustimmung meiner Eltern bekomme – ich bin ja immer noch minderjährig, weißt du. Als Nächstes kommt also ein Gefecht mit Mami. Morgen fahre ich nach Hampton, falls sie da ist, und erkläre ihr, dass ich im Mai volljährig werde, dann kann sie mich ohnehin nicht mehr aufhalten, soll sie also lieber in den

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