Liebe unter kaltem Himmel
und außerdem bei Themen wie Kafka mitzuhalten, aber dennoch nie so erschöpft oder überlastet, dass sie sich nicht an langen, ernsten Gesprächen über geistige oder praktische Fragen beteiligen würden. Tagsüber sah ich mich in den Häusern dieser bezaubernden Wesen ein und aus gehen, alten Häusern, aus deren Fenstern man ein architektonisch bemerkenswertes Gebäude sehen konnte, wie zum Beispiel das Christ Church College aus meinen, ich sah mich Anteil nehmen an allem, was sie in ihrem Leben bewegte, und abends sah ich uns dem gelehrten Gespräch unserer Gatten lauschen. Kurz, ich dachte mir diese Frauen als eine Schar von wunderbaren neuen Verwandten, von gereiften, gebildeten Radletts. Ein solcher froh vertrauter Umgang schien sich mit den Karten von Professor und Mrs Cozens anzukündigen. Der Anflug von Ernüchterung darüber, dass sie an der Banbury Road wohnten, verblasste bald wieder, als mir nämlich einfiel, dass die findigen Cozens in diesem nicht sehr verheißungsvollen Viertel gewiss ein kleines altes Haus entdeckt hatten, ein Schmuckstück, das einst der Laune irgendeines Adeligen entsprungen war, der letzte Überrest eines längst verschwundenen Parks, und angesichts der ornamentierten Türen und Gesimse, der Rokokodecke und der gelungenen Raumaufteilung dieses Hauses beschloss ich, die Banbury Road nicht tragisch zu nehmen.
Ich werde diesen glücklichen Tag nie vergessen. Endlich gehörte unser Haus mir, die Handwerker waren gegangen, die Cozens gekommen, draußen im Garten blühten die Osterglocken, und eine Amsel sang sich die Lunge aus dem Leib. Alfred kam auf einen Sprung vorbei und fand meinen plötzlichen Überschwang offenbar irrational. Er habe immer gewusst, dass das Haus früher oder später fertig werden würde, sagte er, und habe, anders als ich, nicht immerzu zwischen Zuversicht und schwarzer Skepsis geschwankt. Und obwohl ich inzwischen begriffen hatte, dass in Alfreds Augen alle Menschen gleich waren, dämpfte seine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Cozens und ihrer Karten meine gute Laune doch ziemlich.
»Schrecklich«, jammerte ich, »dass ich den Besuch nicht erwidern kann, unsere Karten sind nämlich noch nicht da. Sicher, sie sind für nächste Woche versprochen, aber ich würde gern jetzt gehen, jetzt auf der Stelle, verstehst du das nicht?«
»Nächste Woche ist auch noch Zeit«, meinte Alfred nur.
Bald brach ein noch herrlicherer Tag an; ich erwachte in meinem eigenen Bett, im eigenen Zimmer, eingerichtet nach meinem Geschmack und so, wie es zu mir passte. Gewiss, es war an diesem Tag eiskalt und regnete in Strömen, und da ich noch keine Haushälterin hatte, musste ich sehr früh aufstehen und mich um das Frühstück für Alfred kümmern, aber es machte mir nichts aus. Er war mein Mann, und um das Frühstück kümmerte ich mich in meiner Küche; ich kam mir vor wie im siebten Himmel.
Und nun, so dachte ich, auf zu den bezaubernden Schwestern, auf die ich meine Hoffnung gesetzt hatte! Aber wie so oft im Leben – es kam anders, als ich erwartet hatte. Sehr bald schon saß ich tatsächlich mit zwei Schwestern da, aber mit den charmanten Gefährtinnen meiner Träume hatten sie wenig gemein. Die eine war Lady Montdore, die andere hieß Norma Cozens. Ich war damals nicht nur sehr jung, kaum zwanzig, sondern auch sehr naiv. Geselligen Umgang hatte ich bisher nur mit Angehörigen meiner eigenen Familie und mit Mädchen meines Alters (Schulkameradinnen und Debütantinnen) gepflegt. Diese Beziehungen waren vollkommen unkompliziert und direkt gewesen, und ich ahnte nicht, dass es in diesen Dingen auch verwickelter zugehen konnte; selbst die Liebe hatte sich bei mir auf außergewöhnlich ebenen Wegen eingestellt. In meiner Einfalt glaubte ich, wenn Leute mich mochten, müsste ich sie ebenso gern mögen und sei geradezu moralisch verpflichtet, alles zu tun, was sie von mir erwarteten, zumal, wenn sie älter waren als ich. Im Umgang mit diesen beiden Frauen ist mir damals wohl nie aufgefallen, dass sie meine Zeit und meine Energie vollkommen schamlos ausnutzten. Bevor meine Kinder zur Welt kamen, hatte ich reichlich Zeit und war viel allein. Oxford ist nämlich eine Stadt, in der das gesellschaftliche Leben, anders, als ich es mir vorgestellt hatte, ganz auf alleinstehende Männer zugeschnitten ist, in der die guten Gespräche, das gute Essen und der gute Wein allein jenen Zusammenkünften vorbehalten bleiben, bei denen keine Frauen zugegen sind; die ganze Tradition dieser Stadt
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