Liebe unter kaltem Himmel
Bücher zwischen den Mahagonistützen waren dieselben, die ich seit nun zwölf Jahren, mehr als mein halbes Leben lang, kannte und gelesen hatte: Romane von Robert Hichens und W. J. Locke, Die Hundert Tage Napoleons von Lord Rosebery, Das Haus der Freuden von Edith Wharton, Zwei edle Leben von Hare, Dracula und ein Buch über Hundehaltung. Davor auf der Mahagonikommode stand ein japanischer, mit getriebenen Wasserlilien verzierter Bronzeteekessel. An den Wänden hingen außer den alten Meistern, über die sich Davey so lustig gemacht hatte, ein Stich von Morland, »Die Hausierer rüsten zum Markt«, ein Aquarell von Richmond, das den »alten Lord« in einem Kilt zeigte, und ein Ölbild mit einer Ansicht von Toledo, entweder von Boy oder von Lady Montdore. Die Stile der beiden waren nicht voneinander zu unterscheiden. Das Bild war in ihrer frühen Manier gemalt und hing wahrscheinlich schon seit zwanzig Jahren hier. Für mich hatte dieses Zimmer etwas von einem Mutterleib, teils weil es so rot und warm, so samtig und abgeschlossen war, und teils wegen des Schreckens, der mich früher immer gepackt hatte, wenn mir einfiel, dass ich diesen Raum verlassen musste, um mich auf den gefährlichen Weg nach unten zu begeben. Während ich mich an diesem Abend umzog, überlegte ich mir, wie herrlich es ist, erwachsen zu sein, eine verheiratete Frau, die sich vor anderen Leuten nicht zu fürchten braucht. Vielleicht ein bisschen vor Lord Merlin oder vor dem Rektor des Wadham College, aber das war keine panische, alles überflutende Angst, und man konnte sie ebensogut als natürliche Ehrfurcht vor dem Alter und seinen Talenten ansehen.
Als ich fertig war, ging ich hinunter in die Lange Galerie, wo Lord und Lady Montdore wie gewöhnlich in den Sesseln zu beiden Seiten des Kamins saßen, aber durchaus nicht in ihrer gewöhnlichen Gemütsverfassung. Beide, und vor allem Lady Montdore, waren sehr nervös und blickten erschrocken auf, als ich eintrat, entspannten sich aber wieder, als sie erkannten, dass ich es war. Ich fand, für den Blickwinkel eines Fremden, eines Hinterwäldlers vom amerikanischen Kontinent, hatten sie genau den richtigen Ton getroffen. Lord Montdore in einer legeren Hausjacke aus grünem Samt beeindruckte durch sein weißes Haar und sein fein geschnittenes, unerschütterliches Antlitz, während Lady Montdore gerade durch ihren etwas schlampigen Aufzug erkennen ließ, dass es unter ihrer Würde war, sich um modischen Firlefanz zu kümmern, und auch dies musste beeindrucken. Sie war in schwarz und weiß bedrucktes Crêpe de Chine gehüllt, und ihr einziger Schmuck waren die riesigen Ringe, die an ihren kräftigen Fingern blitzten. Sie saß in ihrer gewohnten Haltung da, die Knie weit auseinander, die Füße in den großen Schnallenschuhen fest auf den Fußboden gestellt, die Hände im Schoß gefaltet.
»Wir haben dieses kleine Feuer angezündet«, sagte sie, »weil wir dachten, dass ihm nach der Reise vielleicht kalt ist.« Es war ungewöhnlich, dass sie Vorkehrungen, die sie in ihrem Haus traf, erläuterte – entweder den Leuten gefiel es, oder sie mussten sich damit abfinden. »Glaubst du, wir hören das Auto, wenn es die Auffahrt heraufkommt? Bei Westwind bekommen wir es meistens mit.«
»Ich höre es bestimmt«, sagte ich taktlos. »Ich höre alles.«
»Also, wir sind auch nicht stocktaub. Zeig Fanny, was du für Cedric hast, Montdore.«
Er reichte mir ein in grünes Maroquin gebundenes Buch, Grays Gedichte.
»Wenn du das Vorsatzblatt aufschlägst«, sagte er, »siehst du, dass Lord Palmerston es meinem Großvater genau an dem Tag geschenkt hat, an dem Cedrics Großvater geboren wurde. Offenbar haben die beiden an diesem Tag zusammen gespeist. Wir glauben, dass es ihm Freude machen könnte.«
Das hoffte ich auch. Plötzlich taten mir diese beiden alten Menschen sehr leid, und ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass Cedrics Besuch ein Erfolg werden und sie aufmuntern würde.
»Kanadier«, so setzte er hinzu, »müssten den Dichter Gray eigentlich gut kennen, denn bei der Einnahme von Quebec hat General Woolf …«
Aus dem roten Salon drang das Geräusch von Schritten herüber, wir hatten das Auto also doch nicht gehört. Lord und Lady Montdore erhoben sich und standen nun nebeneinander vor dem Kamin, während der Butler die Tür öffnete und verkündete: »Mr Cedric Hampton.«
Ein Glitzern von Blau und Gold schwirrte über das Parkett, und schon kniete eine menschliche Libelle auf dem Eisbärenfell
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