Lieben: Roman (German Edition)
ich nicht, aber die Tatsache, dass es da etwas gab, was eines Tages vielleicht zu einem beeindruckenden Film werden würde, vielleicht aber auch nicht, machte mich neugierig auf ihn. Er war gewitzt und furchtlos und schien vor vielen Jahren herausgefunden zu haben, dass er nicht sonderlich viel zu verlieren hatte. So verstand ich jedenfalls seinen Charakter. Linda meinte, seine größte Stärke als Regisseur bestehe darin, dass er die Schauspieler so gut behandelte, ihnen genau das gab, was sie brauchten, um auch noch das Letzte aus sich herauszuholen, und wenn ich ihn sah, erschien mir das nachvollziehbar, denn er war eine freundliche Seele, die allen schmeichelte, und die Harmlosigkeit seines Auftretens machte es einem leicht, sich selber stark zu fühlen, während seine berechnende Seite daraus wiederum Vorteile zu ziehen wusste. Die Schauspieler durften gerne ihre Rollen diskutieren und versuchen, sie zu
ergründen, aber das Ganze, in dem der eigentliche Sinn lag, bekamen sie dabei nicht zu sehen, das kannte nur er.
Ich mochte ihn, konnte aber nicht mit ihm reden und versuchte deshalb, Situationen zu vermeiden, in denen wir unter vier Augen waren. Wenn ich recht sah, verhielt er sich genauso.
Seine Lebensgefährtin Karin kannte ich nicht so gut. Sie ging auf dieselbe Hochschule wie Linda, die Staatliche Bühnen- und Medienhochschule, allerdings in der Fachrichtung Filmdrehbuch. Da ich auch schrieb, hätte ich mit ihrer Arbeit eigentlich etwas anfangen können müssen, aber da beim Drehbuchschreiben die handwerkliche Seite so im Vordergrund stand, bei der es um alle möglichen Spannungskurven, Charakterentwicklung, Handlung und Nebenhandlung, Ansatz und Wendepunkt ging, glaubte ich, ihr nicht viel zu sagen zu haben, und brachte nie mehr als höfliches Interesse auf. Sie hatte schwarze Haare, schmale braune Augen, die Haut ihres ebenfalls schmalen Gesichts war weiß. Sie strahlte eine Form von Sachlichkeit aus, die gut zu Fredriks albernerem und kindlicherem Charakter passte. Sie hatten ein Kind und erwarteten ein zweites. Im Gegensatz zu uns hatten sie alles im Griff, in ihrem Haushalt herrschte Ordnung, sie zogen mit ihrem Kind los und unternahmen interessante Dinge. Nachdem wir bei ihnen gewesen waren, oder sie bei uns, sprachen Linda und ich oft darüber, warum in aller Welt das, was ihnen so leicht zu fallen schien, für uns so völlig jenseits unserer Reichweite war.
Eigentlich sprach viel dafür, dass wir befreundete Paare werden könnten: Wir waren gleichaltrig, wir beschäftigten uns mit denselben Dingen, gehörten derselben Kultur an und hatten Kinder. Aber es fehlte immer etwas, es war immer, als stünden wir beidseits eines kleinen Abgrunds, unsere Gespräche blieben tastend, fanden nie den Kern. Wenn sie es ausnahmsweise doch einmal taten, geschah dies zur Freude und
Erleichterung aller. Dass es nicht richtig lief, lag vor allem an mir, sowohl an meinen langen Schweigephasen, als auch an der leichten Verkrampfung, wenn ich dann schließlich etwas sagte. Dieser Abend verlief im Großen und Ganzen ähnlich. Sie kamen um kurz nach sechs, wir tauschten Höflichkeitsfloskeln aus, Fredrik und ich tranken einen Gin Tonic, wir setzten uns und aßen, fragten uns gegenseitig nach verschiedenen Dingen, wie es mit diesem und jenem lief, wobei wie immer deutlich wurde, wie viel besser sie dies beherrschten als wir, oder jedenfalls ich, der ich nie im Leben darauf käme, aus dem Nichts irgendein Thema anzuschneiden, plötzlich etwas zu erzählen, was ich erlebt oder gedacht hatte, um damit den Versuch zu machen, ein Gespräch darüber in Gang zu bringen. Auch Linda tat dies nicht sonderlich oft, ihre Strategie bestand eher darin, sich auf sie einzustellen, nach etwas zu fragen und von da aus weiterzusehen, es sei denn, sie ruhte so in sich selbst und es ging ihr so gut, dass sie mit ebenso großer Selbstverständlichkeit Raum für sich beanspruchte, wie ich es nicht tat. Wenn sie das machte, wurde es ein schöner Abend, denn dann gab es drei Spieler, die nicht über das Spiel nachdachten.
Sie lobten das Essen, ich deckte den Tisch ab, setzte Kaffee auf und deckte für den Nachtisch, während Karin und Fredrik das Kind im Schlafzimmer neben dem Gitterbettchen hinlegten, in dem Vanja bereits schlief.
»Deine Wohnung war übrigens kurz vor Weihnachten im norwegischen Fernsehen«, sagte ich, als ihr Sohn eingeschlafen war und die beiden sich wieder hingesetzt und sich Eis und warme Brombeeren genommen
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