Lieben: Roman (German Edition)
würde ich zum Sonntagsessen zu euch hinausfahren.«
»Abgesehen davon, dass Montag ist, trügt dich dein Gefühl nicht, mir geht es nämlich genauso. Aber eine Vater-Sohn-Beziehung sehe ich hier nicht. Wenn überhaupt, wäre es die zwischen Caesar und Brutus.«
»Und wer von uns ist Caesar?«
»Frag nicht so dumm. Früher oder später wirst du mir in den Rücken fallen. Aber komm ruhig. Dann unterhalten wir uns hier draußen weiter.«
Wir aßen, und ich ging auf die kleine Terrasse hinaus, um zu rauchen und Kaffee zu trinken, Geir begleitete mich, und wir unterhielten uns über die relativistische Haltung, die wir beide der Welt entgegenbrachten, dass sich die Welt veränderte, wenn sich die Kultur veränderte, aber dennoch immer allumfassend war, so dass man nicht sehen konnte, was außerhalb war, und es dieses Außerhalb deshalb nicht gab, ob diese Auffassung daher rührte, dass wir ausgerechnet zu der Zeit die Universität besucht hatten, in der Poststrukturalismus und Postmoderne ihren Zenit erreicht hatten und alle Foucault und Derrida lasen, oder ob es sich wirklich so verhielt, und wenn ja, ob es dann der feste, unveränderliche und nicht-relative Punkt war, den wir leugneten. Geir erzählte von einem Bekannten, der nach einer Diskussion, die sie über das Eigentliche und das Relative geführt hatten, nicht mehr mit ihm sprechen wollte. Ich überlegte, dass es doch recht seltsam war, alles auf diesen Punkt zu setzen, sagte aber nichts. In meinen Augen ist das Mitmenschliche alles, sagte Geir. Das Menschliche. Außerhalb davon interessiert mich nichts. Mich schon, erwiderte ich. Tatsächlich?, sagte Geir, was denn? Bäume, sagte ich. Er lachte. Muster in Pflanzen, Muster in Kristallen, Muster in Steinen. In Landschaftsformationen. Und in Galaxien. Du redest von Fraktalen? Ja, zum Beispiel.
Aber eigentlich über alles, was das Tote und das Lebende verbindet, alle übergreifenden Formen. Wolken! Dünen! Das interessiert mich. Mein Gott, wie langweilig, sagte Geir. Nein, sagte ich. Doch, sagte er. Wollen wir reingehen?, sagte ich.
Ich goss mir noch eine Tasse Kaffee ein und fragte Geir, ob ich mal telefonieren könne.
»Natürlich«, sagte er. »Wen willst du anrufen?«
»Linda. Du weißt, diese Frau…«
»Ja, ja, ja. Die Frau, wegen der du schon eine Wohnung aufgegeben hast.«
Ich wählte die Nummer bestimmt zum fünfzehnten Mal. Zu meiner Überraschung meldete sie sich.
»Linda?«, sagte sie.
»Oh, hallo, hier ist Karl Ove Knausgård am Apparat«, meldete ich mich.
»Hallo!«, sagte sie. »Du rufst mich an?«
»Ja. Ich bin in Stockholm.«
»Ach, wirklich? Urlaub?«
»Na ja, ich weiß nicht recht. Ich würde hier ganz gerne eine Weile wohnen.«
»Echt? Super!«
»Ja. Ich bin schon seit ein paar Wochen in der Stadt. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du warst nie da.«
»Nein, ich bin eine Zeitlang in Visby gewesen.«
»Aha?«
»Ja, ich habe dort geschrieben.«
»Hört sich gut an.«
»Ja, es war ziemlich gut. Ich habe nicht so viel zustande gebracht, aber…«
»Nein«, sagte ich.
Es entstand eine Pause.
»Du, ich dachte … hast du vielleicht Lust, mal einen Kaffee trinken zu gehen?«
»Gern. Ich bin jetzt die nächste Zeit hier.«
»Morgen vielleicht? Hättest du da Zeit?«
»Ja, ich glaube schon. Vormittags jedenfalls.«
»Das passt mir gut.«
»Wo wohnst du denn?«
»Direkt am Nytorget.«
»Ah, das ist gut! Können wir uns nicht da irgendwo treffen? Kennst du die Pizzeria an der Ecke? Auf der anderen Straßenseite ist ein Café. Was meinst du?«
»In Ordnung. Wann passt es dir? Elf? Zwölf?«
»Lass uns zwölf sagen.«
»Perfekt. Dann bis morgen!«
»Ja. Tschüss.«
»Tschüss.«
Ich legte auf und ging zu Geir hinein, er saß mit seiner Tasse in der Hand auf der Couch und sah mich an.
»Und?«, sagte er. »Endlich jemand zu Hause?«
»Ja. Ich treffe mich morgen mit ihr.«
»Gut! Ich komme am Abend vorbei, dann kannst du mir erzählen, wie es gelaufen ist.«
Ich ging eine Stunde vor der verabredeten Zeit hin, hatte ein Manuskript dabei, das ich begutachten sollte, es war der neue Roman von Kristine Næss, und arbeitete. Kurze Schübe der Erwartung durchzuckten mich jedes Mal, wenn ich an sie dachte. Ich wollte nichts von ihr, das Thema hatte ich endgültig abgehakt, es ging eher darum, dass es so ungewiss war, was passieren würde, wie es ablaufen würde.
Ich entdeckte sie, als sie draußen vom Fahrrad sprang. Sie schob das Vorderrad in einen Ständer und
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