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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Büffeln?», insistiert Sonja. Frauen, stelle ich einmal mehr fest, verfügen bei der Benennung von nüchternen Fakten eine gewisse Gnadenlosigkeit, die uns Männern abgeht. Ich hätte es unter dem Eindruck von Waldemars Geburtsgeschichte gut sein lassen. Sonja nicht. «Hm? Kannst du mir das erklären, Waldemar?»
    «Was gibt es da zu erklären, ha?», entgegnet der. «Ist doch klar: Die ist über die Absperrung drüber, das ist die ganze Erklärung!»
    Sonja bleibt dran: «Wie? Wie ist die da drüber, Waldemar? Verzeih, aber
ich
kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Kuh von über einer halben Tonne Gewicht ein Stahlrohrgitter hochklettert und auf der anderen Seite gemütlich wieder runter, um sich dort dann zum beschaulichen Wiederkäuen niederzulassen.»
    «Sonja, jetzt musst du etwas lernen vom Waldemar, gell? Kühe, ja? Kühe sind uralte mystische Wesen, musst du wissen. Da brauchst du bloß amal bei den alten Griechen nachlesen. Oder noch älter, bei den asiatischen Urvölkern, gell. Ich habe mit Kühen schon Dinge erlebt, Sonja, die kannst du mit dem Verstand nicht erklären. Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde … du weißt schon, und hier gehört die Kuh, eindeutig dazu. Kühe können alles. Alles, merk dir das. Das wussten die Menschen schon vor Tausenden von Jahren, aber sie haben’s nur leider wieder vergessen.» Jetzt hebt Waldemar den Zeigefinger und fährt fast andächtig fort: «Nur der Inder, der Inder weiß es bis heute, dass die Kühe mystische Wesen sind.» Er lässt den Zeigefinger wieder sinken und blickt sehr ernst und sehr tief direkt in Sonjas Augen. Seltsam, diesen braun gebrannten Mann ohne Kleider hätte man jetzt in seiner tiefen Ernsthaftigkeit beinahe für einen leibhaftigen indischen Yogi halten können, wenn da nicht Spiegelbrille und Schnauzbart wären. Und die babyblaue Unterhose.
    «Na gut», lenkt Sonja ein. «Dann lassen wir es eben ein Mysterium sein, Waldemar.»
    Ich aber nehme mir vor, mich nicht zu wundern, wenn ich dermaleinst Augenzeuge davon werde, wie unsere Kühe und Wasserbüffel in buntem Reigen wie Fledermäuse die blasse Scheibe des Vollmondes umkreisen. Ich mustere zweifelnd unseren Weidezaun, der nicht mehr aufzuweisen hat als zwei in Knie- und Hüfthöhe gespannte Elektrodrähte. «Du musst eine Idee haben», unkt der kleine Schweizer. «Für mystische Wesen sind diese zwei Drähte da gar nichts, hä. Um da drüberzukommen, also, die müssen ja nicht mal fliegen können, oder?»
    Stahlnetz!, zuckt es durch meinen Kopf, ein zehn Meter hohes Stahlnetz rund um die ganze Weide. Und oben drüber: auch Stahlnetz. Eine Kuh-Voliere! Doch bevor ich den absurden Gedanken verwerfen kann, braust der silberne Mercedes des Veterinärs heran. Hä, silberner Mercedes? Tierarzt? Wie geht
das
denn? Ein Großtierarzt hat Geländewagen zu fahren, denke ich, einen schönen kantigen, hochbeinigen, hartgefederten, unbequemen
Indiana-Jones
-Geländewagen. In Olivgrün. Mit Stierfänger an der Front. Und Seilwinde am Heck. Ohne Schnickschnack, puristisch, eckig, gut. Keine Luxuskutsche made in Spätzle-Land. In Silber! Wer fährt denn noch silberne Autos in Zeiten wie diesen! Das sind doch die, die sagen: «Im Radio meldeten sie hohes Verkehrsaufkommen. Hab davon nichts gemerkt, vor mir war die Straße völlig frei. Nur Gegenverkehr hatten wir. Und hinter mir war eine Riesenkolonne, das schon. Aber
vor
mir: freie Fahrt! Also, ich konnte mein normales Tempo total problemlos durchziehen: konstant 45  km/h!»
    Silber! Das sind doch die, die meinen, Rückspiegel dienten nur kosmetischen Zwecken. Das sind doch die, die nie Farbe bekennen, die, die den Blinker mit dem Lenkrad verwechseln und ihn erst betätigen, wenn sie fast fertig abgebogen sind. Die, die sagen: «Fahren ist Silber, Schleichen ist Gold.» Kein Wunder, dass dieser Doktor vom Silber-Merz fast ’ne Viertelstunde zu spät da ist. Großtierarzt in Silber, das geht nicht, das ist schlimmer als Großtiertransporteur im Tanga. Das geht alles nicht, denke ich und beobachte, wie der Herr Veterinär-ich-schreib-dann-schon-mal-die-fette-Rechnung-ich-fahre-nämlich-Silberpfeil aussteigt. Klar, dacht ich es mir doch: Luxuskutsche fahren, aber nix zu fressen. Schau dir das an: ein hageres Männchen mit Asketengesicht. Hohle Wangen mit tiefen vertikalen Kerben, scharf geschnittenes Kinn, schmale Lippen, graue Geieraugen unter buschig dunkelgrauen Brauen. Zwei markante Zornesfalten über dem filigranen Grat der

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