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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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heißt?»
    «Nö, kann aber so ’n Freund von uns fragen, kann ich dir dann sagen, find ich für dich raus, kein Thema, mach ich für dich.» Alice sprach, als ob sie eine verstopfte Nase hätte, und sehr schnell. Hochdeutsch mit einem ganz leichten Hauch Berlinerisch. Sie sprach die Sätze so schnodderig weg, wie Leute es sich angewöhnt haben, die den ganzen Tag allen anderen Dinge erklären müssen, die eigentlich eh jedem vernünftigen Menschen klar sein sollten.
    «Danke für die Vermittlung», sagte ich ernst, «dann werde ich die Paste besorgen. Soll ich auch für dich ein Töpfchen mitbestellen?»
    Alice sah zu mir auf und wischte sich Haargespinst aus dem Gesicht «Nö, wieso? Ich hab ja kein Pferd.»
    «Ich dachte eher für dich, von wegen weniger Filz und so.»
    Alice reagierte nicht auf die kleine Boshaftigkeit. «Nö», winkte sie ab. «Nicht nötig, aber wenn ich ’n Pferd geworden bin, sag ich dir Bescheid.»
    Wir gingen auf die Weide, wo die Esel genüsslich Gras mampften.
    «Ach, Esel», ordnete Alice die Spezies sofort und korrekt ein. «So ’n Freund von uns hat auch welche gehabt. Arbeiten die? Esel müssen arbeiten, sonst schreien die immerzu, weißt du? Kannste vor ’ne Kutsche spannen, musst nur gucken, dass die nicht zu schwer ist, aber es gibt ja Kutschen für Kleinpferde, weißt du? Die gehen auch für Esel, so was können die dann ziehen, kannste dein Auto wegschmeißen, is auch besser für die Umwelt und so, verstehst du?»
    «Mhm», machte ich nur und dachte mir meinen Teil.
    Dann zeigte ich Alice meinen ganzen Stolz, den Hürlimann, und es kam, wie es kommen musste. «So ’n Freund von uns, der hat auch ’n ollen roten Traktor, sag mal, tropft der da unten? Musste immer Ölwechsel machen, das ist das Wichtigste, da darfst de nicht sparen mit dem Öl, sonst kann es dir passieren, dass der Motor sich frisst, und dann stehste da, weißt du? Dem ist das auch passiert, war echt Scheiße, aber selber schuld, ne, hat kein Ölwechsel gemacht, sag mal, die Vorderräder stehen schief, ich glaube nicht, dass das gut ist, musste mal dringend nachgucken, ne, bevor sie abfallen.»
    Und so ging es den ganzen Nachmittag. Bei den Schafen lernte ich, dass dieselben bei warmem Wetter geschoren werden müssen, damit sie nicht «hüpa ventilieren», ich staunte über den Wortschatz der Kleinen. Bei der Tränke lernte ich, dass Mineralwasser besser wäre, weil die Schafe ohne Mineralien mangelernährt sind. Auf der Wiese lernte ich, dass die Schafsköttel wunderbare Blumenerde machen, «kannste einsammeln, trocknen und dann für viel Kohle verklickern, wir haben da so ’n Freund …»
    Wir lernten, dass Kaffee schädlicher ist als Tee, am besten aber weder noch, und wir wurden gelobt für unseren selbst gezogenen Salat: «Müssta aber aufpassen – wenn der ausschießt, wird er bitter, müsstet ihr ma dringend ernten, die Köpfe da.»
    Als sie gingen, schüttelte Alice uns die Hand, strich sich die Haare aus dem Gesicht und verkündete: «Ihr macht das echt nicht übel, wie ich gesehen habe, ich glaub, ich komm ma wieder rum.»
    «Klar», lachte Sonja, «nur immer her mit dir.»
    Aber damit gab sich Alice noch nicht zufrieden, sie packte ihren Haardschungel mit beiden Händen, strich ihn nach hinten und hielt ihn im Nacken fest – sie brauchte jetzt freie Sicht. Sie blickte zu mir hoch, fixierte aufmerksam meine Augen. Dann fragte sie mit vorgeschobenem Kinn: «Und was ist mit dir? Is okay, wenn ich komm?» Ich nickte.
    Zwei Wochen später rief Alices Mutter an und teilte uns mit, die Tochter würde kaum noch von was anderem reden als von den Eseln, den Pferden, den Schafen, dem Hürlimann und uns. Und läge ihr seit Tagen in den Ohren, wann sie denn mal endlich wieder hinfahren könnten. Aber sie, die Mutter, hätte so viel um die Ohren, ob Alice vielleicht auch alleine … ob es dieses Wochenende ginge? Sie würde das Kind in die Vorortbahn setzen, und wenn wir es dann am Bahnhof in Schmachthagen … Natürlich waren wir einverstanden. Dieses Mal und später noch einige weitere Male.
    Bis es dazu kam, dass Alice uns adoptierte. An jenem Tag waren Alice und ich gerade dabei, mit dem Hürlimann einen Wagen voll Stroh über die Rollbahn des ehemaligen Russen-Flugplatzes zu ziehen. Wir hatten die Bunde in einem der leer stehenden Hangars, den wir als Lager benutzen durften, auf den Wagen geladen und waren nun unterwegs zur Hofscheune. Alice hatte ihre Haare unter einem kessen Strohhut gebändigt –

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