Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
dynamisch, wie ich finde, eines jedes Action-Movies würdig, bringe ich den Jeep hinter dem Hänger zum Stehen und springe synchron mit Sonja aus dem Auto. Ich lausche. Kein Muhen ist zu hören, kein einziger Laut unsere Tiere … Nur ein leicht ratteriges Brummen, erzeugt von irgendetwas an oder in diesem Blechmonster. «Wäre nicht der erste Tiertransport, der sein Ziel nur mit unterwegs krepiertem Vieh erreicht», gibt der kleine Schweizer zu bedenken. Ich werfe einen alarmierten Seitenblick zu meiner Frau. «Ich hör sie nicht, Sonja, du?»
Sie schüttelt den Kopf. «Die pennen», sagt sie.
Und jetzt bemerke ich den Geruch. Unter das vertraute Hochsommermorgen-Parfum aus vertrocknetem Gras, einem Hauch modrigem Unterholz, einer Nuance bereits weich werdenden Asphalts und einer Prise Wiesenblumenduft hat sich eine neue, aber klar erkennbare Note gemischt: Kuh. Das erste Mal seit wer weiß wie vielen Jahrzehnten riecht es hier wieder nach …
«Kuh», sagt Sonja. «Ich rieche Kuh.»
«Ja, ich riech’s auch.» Ich muss lächeln.
«Ditaaaa! Das erste Mal seit wer weiß wie vielen Jahrzehnten riecht es hier wieder nach Kuuuuh!» Sonjas Gesicht strahlt.
«Und es wird hier noch in Jahrzehnten nach Kuh riechen, das schwör ich dir», höre ich mich sagen und werde durchströmt von einem euphorischen Glücksgefühl.
«Ja, sowieso, wonach sonst?», sagt Sonja, als wäre das so selbstverständlich wie die Tatsache, dass auch in Jahrzehnten noch Sommer stattfinden werden.
«Griaß euch Gott beieinander», höre ich eine Männerstimme.
Ich blicke der Seitenwand des Lastzugs entlang nach vorn und sehe: einen Natur-Playboy!
Von unten nach oben: Weiße Sportschuhe, darin weiße Tennissocken, darin sehnige, braun gebrannte Beine, an deren Ende ein in der Morgensonne hell babyblau leuchtendes Unterbekleidungstextil eng anliegt, das den Namen Textil bei näherer Betrachtung zu Unrecht trägt: ein Mittelding zwischen Tanga und sehr knapper Badehose, die beiden deutlich sparsamen Stoffdreiecke sind einzig durch ein schmales, dunkelblaues Gummiband miteinander verbunden. Darüber wird ein bronzefarbener, zugegebenermaßen recht athletischer Oberkörper präsentiert, frei und unbehelligt von Profanem wie Stoff, darüber wiederum, verborgen hinter Schnauzbart und Spiegelbrille, erahne ich ein nicht unsympathisches Gesicht.
«Ahhh …», macht Sonja. «Sie sind also der Fahrer, mit dem ich telefoniert habe. Hallo!» Sie geht ihm entgegen und begrüßt ihn, seinen überraschenden Bekleidungs- oder eher Nicht-Bekleidungsstil souverän ignorierend. Auch er verhält sich ganz, als ob er im lockeren City-Anzüglein vor dem Kaffee Kranzler eine flüchtige Bekannte träfe. Er reicht Sonja formvollendet die Hand, deutet sogar eine knappe Verbeugung an. Die beiden agieren so überzeugend normal, dass ich mich frage, ob das Bild des quasi nackten Mannes sich vielleicht nur mir darbietet. Dass ich an einer seltsamen Variante von Wahrnehmungsverschiebung leide. Aber, frage ich mich, wenn ich mir das alles nur einbilde, warum bilde ich mir dann um Gottes willen eine solche Unterhose ein? Baby-Leuchtblau?
«Ja, genau der bin i, der Mann am Telefon, der Viehfahrer halt, Servus.» Nun wendet sich der Mann mit ausgestreckter Hand an mich. «Ich bin der Waldemar!» Auch das noch, denke ich, Waldemar! Nein, ich leide an keiner Wahrnehmungsverschiebung. Mir diesen Namen einzubilden, wäre mir nicht möglich, das überstiege meine visionären Kompetenzen eindeutig. Der muss echt sein, der Kerl. Dieser Waldemar. Wie können frisch gebackene Eltern, üblicherweise also erwachsene Menschen, ihr süßes kleines Knuddelbaby nur auf den Namen Waldemar taufen? Auf einen Dackelnamen? Das ist ja noch ungeheuerlicher, als ein gewisses anderes süßes kleines Knuddelbaby mit dem Etikett «Dieter» versehen auf die Welt loszulassen.
«Dieter», sage ich, schlage in seine Hand ein und konzentriere mich darauf, meine Augen nicht unwillkürlich Richtung Babyblau irrlichtern zu lassen. Offenen Blickes schau ich ihm geradeaus in seine Augen, wie sich das gehört bei einer Begrüßung. Sehe aber nur mein eigenes, durch die gewölbten Gläser der Spiegelbrille skurril verzerrtes Antlitz. Waldemar spürt meine Irritation.
«Ah, äh, Entschuldigung …», setzt er an.
«Macht doch nichts», unterbricht Sonja ihn. «Hier in Brandenburg soll jeder nach seiner Fasson selig werden, warum nicht in Babyblau?»
«Babyblau?» Jetzt ist Waldemar irritiert. Er nimmt
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