Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
Vom Netzwerk:
Waldemar hatte mir das Wort abgeschnitten: «Genau, Dieter, wenn etwas passiert, ist immer gut, wenn einer draußen ist, dem nix passiert ist, weil der kann dann die Hilfe organisieren. Drum: Bleib du draußen und gib Obacht, gell!»
    «Also, können wir, ich hab noch ’n Kongress in Berlin!» Hatte der Tierarzt gesagt, der seine Slipper dann doch noch gegen Gummistiefel getauscht, sich der Krawatte und des Jacketts entledigt hatte und in einen blauen Arztkittel geschlüpft war. Und dann waren die drei über das Absperrgitter zu den Büffeln hineingeklettert.
    «Moment …», hatte ich noch einen letzten Versuch gemacht, das Unheil abzuwenden. «Herr Doktor, können Sie nicht wiederkommen, wenn wir die Tiere auf der Weide und die sich eingewöhnt haben? Dann können Sie ihnen doch in aller Ruhe das Blut für den Labortest abnehmen …»
    Doch der Tierarzt war plötzlich sehr amtlich geworden. «Die Tiere sind unmittelbar nach Ankunft zu bluten. Ist das klar? So sind die Bestimmungen. Und das ist auch gut so. Ich habe in meinem Gebiet seit zwanzig Jahren keine einziges Seuchenproblem gehabt, und ich bin entschlossen, dass das auch so bleibt. Ich würde die Tiere ja gern aussteigen lassen, wenn Sie, lieber Herr Moor, einen Behandlungsstand hätten. Ich seh hier aber keinen. Also bleibt als einzige Möglichkeit, die Tiere zu fixieren und zu bluten hier drin, im Transporter. Und jetzt lassen Sie uns bitte unsere Arbeit machen.» Er hatte sich entschlossen abgewandt und die erste furchterregend große Spritze aus seiner Tasche geholt.
    «Jetzt mach dir keine Sorgen, Dieter, des krieg ma scho hin. So, und jetzt Klappe zu», sagte Waldemar und betätigte einen Schalter im Inneren des Transporters. Sirrend begann die Klappe nach oben zu fahren. Das Letzte, was ich von meiner Sonja sah, bevor sie hinter der unerbittlichen Stahlwand verschwand: Sie winkte mir lächelnd zu – und erinnerte stark an jene tapfere Astronautin, die auch gewinkt und gelächelt hatte, bevor sie das Space Shuttle «Challenger» bestieg, um kurz darauf vor den Augen der Weltöffentlichkeit in einem Feuerball zu verglühen …
    Die Klappe war eingerastet, ich war zurückgetreten, dazu verurteilt, hilflos abzuwarten. Hinzunehmen, was nun geschah. Egal, wie schlimm es kam.
     
    Wie ein gefangenes Tier tigere ich neben dem Auflieger hin und her, fühle mich so überflüssig wie … wie eine Friedenstaube im Generalstab, ein Wandnagel im Pudding, ein Ruderboot in der Wüste, wie ein kleiner Schweizer im großen Brandenburg.
    Ich kneife mich, wache aber leider nicht auf aus diesem Albtraum.
    Wie kommt es, frage ich mich, dass ich Todesängste um meine Sonja ertragen muss, statt mit ihr am Prenzlauer Berg im Alternativ-Kneipchen um die Ecke ein Bio-Schafmilch-Eis zu frühstücken, bevor wir uns wieder in unsere Designer-Dachterrassen-Altbauwohnung hochliften lassen, um den ausgesucht exquisiten Brunch für unsere ausgesucht exquisiten Freunde vorzubereiten, die zu Mittag zum gepflegten Kultur-Talk erscheinen und neidvoll unser De-Sede-Sofa aus weißem Ziegenleder bewundern würden? Und natürlich auch die Kois im Riesenaquarium, das die Luxus-Bulthaup-Kochinsel abgrenzt vom stilvollendeten handlackierten Kirschholzesstisch und der Manufactum-Weingläser-Vitrine. Wie kommt es, dass ich hier diese Bullenscheiße, Bullenscheiße, Bullenscheiße mache, statt in Hauptstadtgalerien Banal-Smalltalk zu Grünem Tee, Ingwerlikör und Asia-Häppchen abzusondern oder in handgenagelten Budapester Schuhen das historische Parkett meines persönlichen Star-Hairstylisten zu malträtieren, auf dass das Erscheinen meiner Person beim Gala-Empfang der Schweizer Botschaft bei den mit Klunkern behängten und Fendant-illuminierten Damen angemessen Eindruck hervorzurufen imstande sein wird?
    Warum stattdessen diese Bullenscheiße, Bullenscheiße, Bullenscheiße?!
    Ich ahne, warum: Weil mich dies sinnentleerte
Urban Life
unendlich langweilen würde. Andererseits: Muss denn das Landleben gleich mit solch tonnenschwerem Stress aufwarten?
    Etwas Flatteriges bewegt sich, vom Dorf her kommend, in Richtung Sattelschlepper. Bunt flackert es immer wieder durch das Grün des Alleengebüschs. Ich erkenne ein Blumenkleid, ein Fahrrad, einen Strohhut. Alice! Sie springt noch im Fahren ab, lässt den Drahtesel achtlos in das Buschwerk sinken und eilt mit weit ausholenden Schritten auf mich zu. «Bullenscheiße», schimpft sie, «ich komm zu spät!»
    Ich hatte nicht mit ihr gerechnet. Zwar

Weitere Kostenlose Bücher