Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Stufen, noch zwei, eine noch – und ohne durch einen engen Türstock behindert zu werden, bin ich im Wohnzimmer angekommen! Langsam setze ich das Kalb ab. Sobald seine winzigen Klauen Bodenkontakt spüren, beginnt es zu strampeln, rutscht aus, aber noch habe ich es fest im Griff und lasse es sanft zu Boden gleiten. Ich höre noch, wie Alice die Terrassentür hinter sich schließt, ich sehe noch die Pferdedecke, die sie aus dem Jeep mitgebracht hat und die sie nun auf dem Holzboden ausbreitet. Kluges Schnellkapier-Kind!, denke ich noch, dann nehme ich nichts mehr wahr, außer pumpenden Lungen, rasendem Puls und großer Erleichterung: Wir haben den Kleinen an der Wärme, unverletzt!
Auf dem Holzboden, direkt neben dem großen Heizkörper, bereiten wie ihm ein Lager aus Woll- und Pferdedecken. Alice kuschelt sich liegend gegen den Rücken des reglosen Stierbabys und streichelt es.
«Wie lange braucht der, bis er wieder warm ist?», fragt sie.
«Keine Ahnung, Alice. Ich kenn das so ähnlich nur von einem Lamm. Das war nach zwei Stunden schon wieder fit. Bei ihm … wir müssen abwarten.»
«Und danach kann er dann wieder zu seiner Mama?»
«Er muss. Sobald er stehen kann und ’ne Chance hat, das Euter zu finden, gehört er wieder in seine Herde.»
«Schade», sagt Alice, «wär doch nett, einen Büffel als Haustier hier drin», und lacht laut heraus, in mein entsetztes Gesicht.
Es ist fast Mitternacht. Sonja ist es tatsächlich gelungen, Mimosa zu melken, und mit viel Geduld haben wir es geschafft, das Kalb mit einem Teil der lebenswichtigen Milch sozusagen zwangszuernähren. Und es hat zum ersten Mal einen Laut von sich gegeben. Ein kurzes, kehliges «Mmmö», einer kleinen Faschingströte nicht unähnlich, ein akustisches Fragezeichen. Ich kenne diesen Laut von anderen Büffelkälbern, er bedeutet: «Hier bin ich, Mama.» Er kann gesteigert werden von « HIER bin ich Mama» über « HIER bin ich, MAMA » bis zu « HIERBINICH,MAAAMA ! ». In dieser höchsten Stufe klingt es dann nach Vuvuzela. Betätigt von sehr kräftigen Lungen. Doch so weit musste sich der Stier gar nicht verausgaben: Alice hat sich bereits beim allerersten «Mmmö» an das Kalb gekuschelt und dessen Rücken massiert. Sofort hat es sich beruhigt.
Jetzt sitzt das Mädchen mit dem Rücken gegen den Heizkörper gelehnt auf dem Boden. Den Kopf des Kalbes hat sie auf ihre ausgestreckten Beine gebettet. Der Rest des Büffelchens verschwindet unter mehreren Lagen Textil. Mädchen wie Kalb dösen mit geschlossenen Augen vor sich hin.
Vorsichtig fahre ich mit der Hand unter die Decken und spüre: Wärme! Ich taste nach den kleinen Klauen und vermeine Metall anzufassen. Kaltes Metall. Vorsichtig schiebe ich einen Finger in das Kälbermaul: Es fühlt sich an, als hätte das Tier soeben ein Eis gelutscht.
«Die Wärme ist noch immer nicht im Körper», stelle ich resigniert fest.
«Tja», sagt Sonja, «bis mehr als vierzig Kilo Büffel warm werden …, das dauert eben einiges länger als bei einem leichtgewichtigen Lämmchen.»
«Also, dann wird das nichts mehr heute Nacht mit zurück zu Mama», resümiere ich.
«Nein», bestätigt Sonja knapp. Sie runzelt die Stirn. «Das bedeutet für uns: Nachtwache. Wecker stellen, alle zwei Stunden nachsehen.»
Ich seufze. Na gut, denke ich, dann ist der morgige Tag eben geknickt. Ich brauch zwar nicht allzu viel Schlaf, so sechs Stunden genügen mir eigentlich, wenn ich die jedoch nicht kriege, dann werde ich zum Zombie. Ich zucke mit den Schultern, was soll’s, dann eben Zombie.
«Es ist nun mal, wie es ist», sagt Sonja.
«Ja», antworte ich, «und eigentlich können wir uns nicht beklagen: Bis jetzt haben unsere Kühe ihre Kälber problemlos geboren und großgezogen.»
«Eben», sagt Alice, die offenbar doch nicht geschlafen hat. «Und außerdem: Warum wollt ihr euch denn dauernd wecken lassen. Ich bin doch da, ich schlaf heut Nacht beim Kleinen.»
«Das geht nicht», protestiere ich reflexartig. «Du brauchst deinen Schlaf, Alice-Kind.»
«Wozu?», fragt sie. «Ich kann ja morgen den ganzen Tag pennen, wenn nötig. Bitte, ich kann nicht vom Kleinen weg! Ich schlaf doch sowieso nicht, wenn ich nicht weiß, wie’s ihm geht. Da kann ich doch gleich bei ihm bleiben.»
«Klingt logisch», sagt Sonja und zwinkert mir zu.
«Aber …», will ich sagen, doch Alice ist schneller: «Dann ist ja alles klar!»
«Alles klar», lächelt Sonja, und schon haben mich die beiden Damen elegant
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