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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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auf der Pfanne, aber ich freu mich immer, dich zu sehen … Alice-Kind, du musst mir helfen.»
    «Was denn los?» Das Mädchen sieht mich mit großen erschrockenen Augen an. «Ist was mit Sonja, wo ist sie?»
    «Nein, nein, mit Sonja ist alles gut, sie ist bei den Büffeln und …»
    Ich schildere ihr kurz die Lage. Alice hört sich den Bericht aufmerksam an, geht kommentarlos zur Heckklappe des Jeeps, öffnet sie und ruft: «Mein Gott! Mein Gott! Wie süß, o der arme kleine Büffel. Schnell, Dieter!» Und schon zerrt sie an der Pferdedecke, auf der das Kalb liegt.
    «Moment, Alice, erst planen, dann machen …» Ich überlege, wie wir es schaffen können, das Tier die fünf Stufen hoch und danach durch die schmale Eingangstür zu bringen. Am Besten, wir versuchen es durch die Terrassentür zum Wohnzimmer. Wir nennen sie Terrassentür, obwohl die Terrasse zur Tür noch immer nicht gebaut ist. Nur eine einfache Holztreppe führt zu ihr hoch. Aber sie hat einen entscheidenden Vorteil: Zwei der drei Türflügel lassen sich öffnen, sodass ein fast zwei Meter breiter Durchgang entsteht, viel Manövrierraum. Dieser Weg ins Haus ist viel büffelgerechter als die Eingangstür. «Wir bringen ihn ins Wohnzimmer, da haben wir mehr Platz beim Reintragen», verkünde ich.
    «Okay», sagt Alice, rennt ins Haus, verschwindet, taucht kurz darauf im Wohnzimmer wieder auf und öffnet von innen die beiden Türflügel. Im Nu steht sie wieder neben mir an der offenen Heckklappe. «So, also komm», keucht sie und rupft erneut an der Pferdedecke.
    «Alice, sei nicht so hektisch, mach langsam.» Gemeinsam ziehen wir den kleinen Büffel auf der Decke zu uns ran, bis er knapp an der Ladekante liegt.
    «Wo soll ich ihn nehmen?», fragt Alice. «Lass mich doch mal überlegen», dämpfe ich ein weiteres Mal ihren Tatendrang. «Ein Wasserbüffelkalb wiegt bei der Geburt über vierzig Kilo. Das ist nicht wenig. Für jeden von uns mehr als zwanzig Kilo. Das sind zwei gefüllte Gartengießkannen, schaffst du das, Alice?»
    «Zwei Gießkannen? Klar, schaff ich locker!»
    Ich mustere das schmale Persönchen mit den dünnen Ärmchen.
    «Musst gar nicht so kritisch gucken», reklamiert sie. «Männer unterschätzen Mädchen
immer
, weißt du? Und außerdem hab ich gelesen, wenn es wirklich wichtig ist, also wenn es um Leben und Tod geht und um all so was, dann hat man dreimal so viel Kraft wie normal. Und hier geht es ja wohl um Leben und Tod, oder? Also könnte ich in diesem Fall sogar sechs Gießkannen tragen!»
    Es geht zwar um Leben und Tod, aber so ein Felltier hat im Gegensatz zu Gießkannen weder Henkel noch Griffe. Wir versuchen es in mehreren Varianten: Ich vorne, Brust und Kopf, und Alice das Hinterteil, dann umgekehrt, dann wir beide jeweils auf einer Seite … Es funktioniert alles nicht. Der einzige Effekt unserer Bemühung: Der kleine Stier ist durch unsere ganze Herumprobiererei aus seiner Lethargie erwacht und beginnt sich durch unberechenbare Zuckungen gegen unsere Belästigungen zu wehren. Wir versuchen es nun auf die gleiche Weise, in der ich den Kleinen mit Sonja transportiert hatte: die Pferdedecke als Hängematte. Allein, ich traue den kleinen Händen des Kindes einen solchen Kraftakt schlicht nicht zu. Außerdem müsste das Tier Ruhe geben, und das tut es gerade jetzt partout nicht.
    «Ich muss es alleine versuchen, Alice. Ich schaff’s ja auch, die Hunde zu tragen, und die sind so viel leichter auch nicht.» Zu meiner Überraschung tritt Alice ohne jede verletzte Eitelkeit zwei Schritte von der Klappe zurück.
    «Okay», sagt sie.
    Ich schiebe meine Arme unter das Kalb, es strampelt heftig und kommt dadurch irgendwie halb zum Stehen. Dadurch gelingt es mir, es quer zu fassen, einen Arm um seine Brust, den anderen um den Hintern zu legen. Ich presse es an mich. Hebe es hoch. Und es zeigt sich: Die massigen Sennenhunde sind doch
viel
leichter als dieser Stier! Ich wanke die Treppe rauf, mein Rücken jault, die Oberschenkel erkundigen sich beim Hirn, ob da jemand verrückt geworden sei, die Arme kündigen durch heftiges Zittern einen Generalstreik an. Jetzt nur nicht schwach werden! Bloß nicht fallen lassen! Ich muss es schaffen, ich muss, es geht um Leben und Tod! Und wie ich das denke, stellt sich heraus: Was Alice da gelesen hat, war gar nicht so dumm: Pure Energie durchströmt mich plötzlich auf unerklärliche Weise, die Beine tun nicht mehr weh, der Rücken schweigt, und die Arme halten wie Eisenträger. Noch drei

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