Lieber Frühling komm doch bald
zerfetzte es wütend.
Julia war außer sich. Sie biß Tante Elspeth in die Hand. Niemand hätte der stillen kleinen Julia eine so heftige Reaktion zugetraut. Aber man hatte ihr das einzige genommen, was ihr von ihrer Mutter geblieben war, das einzige, was ihr die Hoffnung gab, einmal eine große Tänzerin zu werden.
Tante Elspeth schrie laut auf vor Zorn und Schmerz. Sie nahm das verstümmelte Buch und schlug es Julia um den Kopf, bis ihr Bruder ins Zimmer gestürzt kam. Er packte seine Schwester und entriß ihr das Buch. Als er ihre blutende Hand sah, sagte er ruhig: «Am besten tust du Jod darauf. Und dann pack deine Sachen.»
«Ja, das werde ich», sagte sie keuchend und verließ das Zimmer.
Bekümmert sammelte Julia die Teile des geliebten Buches vom Boden auf. Ihr Vater sah ihr zu. «Hat das Tante Elspeth gemacht?»
Sie nickte. Ihre großen dunklen Augen sahen ihn an.
«Und du hast sie in die Hand gebissen?»
Sie senkte den Kopf, und ihr langes glattes Haar schimmerte im Licht. «Aye.»
Müde setzte er sich auf ihr Bett. «Ach, Kind, Kind!» sagte er langsam und zog sie an sich. Sie machte sie steif, aber nach einer Weile schmiegte sie sich an ihn und fragte: «Reist Tante Elspeth jetzt ab?»
Er nickte, und sie sagte aufseufzend: «Wie schööön.»
Er schwieg. Und wer wird dich von nun an versorgen, mein Kind? dachte er. Die Zukunft sah trübe aus. Zum erstenmal erkannte Duncan Mackintosh, daß es Dinge gab, die über seine Kraft gingen.
14
Im großen Haus schickte John Pentecost sich an, seinen brüderlichen Pflichten nachzukommen.
Den Anstoß dazu hatte Jocelyn gegeben. Auf der Rückfahrt von Ingerby hatte er sich allerlei Gedanken gemacht. So war ihm eingefallen, daß die kleine Miss Thompson auf der Straße am Fluß am Abend zuvor in Gefahr gewesen war und daß diese Gefahr für sie alle bestand und daß man deshalb etwas unternehmen mußte. Und er hatte auch an seine Lieblingstante Dorothea gedacht, an das Glück, das ihr strahlendes Gesicht widerspiegelte. Hoffentlich war der Franzose ein ordentlicher Mann. Er sah nicht so aus, als ob er etwas zu verbergen hatte. Aber das besagte natürlich nicht viel.
Zu Hause traf er seinen Vater allein im Wohnzimmer an.
«Du, Vater», sagte er, «dieser Franzose ist doch wohl in Ordnung, nicht?»
«In Ordnung?» Der alte Mann starrte ihn an. «Was soll das heißen, in Ordnung?»
«Naja, ich meine, was wissen wir schon von ihm?»
John Pentecost wand sich unruhig in seinem Sessel. Er mochte es nicht, wenn man ihm Fragen stellte, die er nicht beantworten konnte. «Du willst doch wohl nicht sagen, daß er ein Gauner ist?» fragte er böse.
In diesem Augenblick kam Edouard ins Zimmer. «Ah, Jocelyn», rief er, «haben Sie die kleine Miss nach Hause gebracht? Wirklich ein guter Mensch», fügte er nach einer kleinen Pause hinzu. «Sie versucht aufzubauen, während doch die meisten Menschen im Grunde nichts anderes tun, als irgend etwas niederzureißen und zu zerstören.»
«Mein Gott, finden Sie das auch?» rief Jocelyn aufgeregt. «Das ist etwas, was mich seit langem bewegt. Wenn es um Menschen oder auch um Methoden geht, frage ich immer: Schaffen sie etwas, bauen sie etwas auf, oder zerstören sie? Und im Augenblick scheinen mir diejenigen, die zerstören, in der Überzahl zu sein.»
Der Franzose sah ihn mit einem ernsten Lächeln an: «Sie sind ein kluger und sehr empfindsamer Mensch, Jocelyn.»
«Nein, das bin ich gar nicht!» sagte Jocelyn. «Man könnte es meinen, aber...» Er merkte, daß seine Stimme zitterte. «Ich bringe es doch fertig, Abend für Abend vorm Fernsehgerät zu sitzen und zuzusehen, wie überall in der Welt Menschen verhungern oder hingemordet werden. Entschuldigen Sie mich, bitte.» Bis ins Innerste aufgewühlt verließ er das Zimmer.
«Diese Schriftsteller... Man weiß bei ihnen nie, woran man ist», sagte John Pentecost, als müßte er sich für seinen Sohn entschuldigen. Als Edouard darauf nichts erwiderte, erhob er sich und holte zwei große Gläser, die er mit Brandy füllte. «Kommen Sie, nehmen Sie doch Platz, mein Lieber.»
Eine Weile saßen sie schweigend da, schwenkten den Brandy in den Gläsern und atmeten genießerisch das Bouquet ein. John Pentecost blickte seinen Gast verstohlen von der Seite her an. Was er da sah, bestätigte seinen ersten Eindruck: der Mann hätte fast ein Engländer sein können. Trotzdem, er hatte keine Lust, sich von Jocelyn noch weitere lästige Fragen stellen zu lassen. Er setzte
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