Lieber Frühling komm doch bald
sich bequem in seinem Sessel zurecht und sagte im Plauderton: «Dorothea hat mir erzählt, daß Sie in einer Bank arbeiten.»
Einen Moment lang schwieg Edouard lächelnd, dann sagte er mit einem leichten Anflug von Hochmut: «Ich bin eine Bank, Monsieur. Bouverie & Cie. in Paris.»
Allmächtiger. Und diesen Mann hatte nun Jocelyn verdächtigt, ein Gauner zu sein! Schrecklich! Entsetzlich! «Oh, das wußte ich nicht - bitte, verzeihen Sie.»
Edouard zog mit einem Lächeln die Schulter hoch und sagte: «Und nun möchte ich Sie ganz offiziell um die Hand Ihrer Schwester bitten.»
«Aber mit dem allergrößten Vergnügen. Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück. Und wann - hatten Sie gedacht?»
«Im Frühling. Im April, wenn Ihnen das recht ist.»
«Im April. Meine gute Dorothea... Wer hätte das gedacht! Monsieur, wenn ich das sagen darf: Sie sind zu beneiden.» Er schneuzte sich mit Nachdruck. Die Rührung übermannte ihn.
15
Doch noch lag der Frühling in weiter Ferne. Noch war Winter. Und das Wochenende war erst halb herum, das Haus noch immer voller Gäste, und May hatte hämmernde Kopfschmerzen, die sich am Sonntagmorgen noch immer nicht gebessert hatten. Davon allerdings hatte niemand eine Ahnung. May wirkte so heiter wie immer und kümmerte sich um alles. Seltsamerweise spürte nur Gaylord, daß nicht alles so war wie sonst. Ihr allgegenwärtiges Auge war nicht ganz so allgegenwärtig wie sonst. Es war ihm tatsächlich gelungen, ein paar Dinge zu vergessen, die er sonst nie vergessen durfte: zum Beispiel Händewaschen vor dem Essen oder Gummistiefel ausziehen, wenn er nach oben aufs Klo ging. Selbst ein Fleck auf seiner Steppdecke vom Spielen mit dem Druckerkasten und ein Häufchen Schneematsch im Flur lösten kein Donnerwetter aus. Wirklich sonderbar. Wenn Mummi bloß nicht krank wurde!
May zählte die Stunden. Zum Glück wollte Bea mit Dorothea und Edouard gleich nach dem Mittagessen abfahren — zu Gaylords großer Befriedigung. Peter und Becky tauschten zärtliche Blicke und deuteten an, sie wollten auch lieber vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause fahren, worauf Gaylord mit kläglicher Stimme rief: «Fahr doch bitte noch nicht weg, Tante Becky!» Seine Mutter warf ihm einen entsetzten Blick zu, den er prompt mißverstand: «Mummi möchte auch nicht, daß du schon wegfährst, nicht Mummi?»
«Nein, natürlich nicht, mein Herz. Aber die Straßen sind sehr glatt, weißt du, und da ist es vielleicht doch besser -»
Noch eine Mahlzeit, dachte May. Noch zwei Stunden den anderen zuhören, höflich und scheinbar aufmerksam sein und passende Antworten geben - wie ein Automat.
Noch zwei Stunden. Doch jetzt, gerade als sie zum Essen bitten wollte, erschien Mr. Mackintosh mit grimmigem Granitgesicht an der Küchentür und wollte ihren Schwiegervater sprechen. Und zehn Minuten später erschien ihr Schwiegervater, ebenfalls mit grimmigem Granitgesicht, und fragte: «May, hast du einen Moment Zeit?»
Da in diesem Augenblick alles zum Anrichten bereit war - Braten, Sauce, Kartoffeln, Gemüse und Yorkshire-Pudding -, hätte sie eigentlich mit einem klaren Nein antworten müssen. Doch sie sah ihn ruhig an und sagte: «Worum geht es denn, Schwiegervater?»
«Mackintosh will kündigen», sagte er verstört.
«Ach, du liebe Zeit», sagte sie ungerührt. Für ihren Schwiegervater mochte das eine Katastrophe sein - für sie nicht.
«Eine verdammt ernste Sache!» beschwor er sie. «Der beste Mann, den ich je gehabt habe!»
«Hm. Tut mir wirklich leid.» Aber warum kam er zu ihr damit? Sie wartete auf seine Antwort.
«Seine Schwester ist schuld. Sie reist ab. Will gleich morgen früh den Sechs-Uhr-Zug nehmen.»
Jetzt hatte sie begriffen. Sie hob den schweren Braten aus der Pfanne und legte ihn auf die Fleischplatte. Um ein Haar wäre er zurückgefallen in die heiße Sauce.
Der alte Mann fuhr fort: «Und er sagt, beides, für das Kind sorgen und seine Arbeit tun, kann er nicht.» Erwartungsvolle Pause.
«Ich verstehe», sagte May und stellte die Platte mit dem Braten in den Ofen. Sie begann die Sauce umzurühren.
«Die arme Kleine», sagte Opa gefühlvoll.
«Ja.» May rührte immer noch.
«Woanders wird’s ihm auch nicht besser gehen», meinte Opa nachdenklich.
«Nein.»
«Die beiden könnten ja vielleicht auch zu uns ins Haus ziehen...»
Es ging ja gar nicht allein um sie. Es ging auch um Jocelyn und seine Arbeit. Und um Gaylord. Es war nicht recht, ihm einfach so eine ständige Gespielin
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