Lieber Frühling komm doch bald
große Krankenhaus trugen. Julia nicht, weil ihr das Spiel nicht lag und sie die Spielregeln nicht recht begriff. Und Opa nicht, weil er - für alle Fälle! - die Seite mit dem Leitartikel aus dem Observer vor sich auf seine Knie gelegt hatte. Aber für ihn gab es auch noch andere Gründe, warum er schlecht spielte. Er war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache. Er machte sich Sorgen.
Die Vorstellung, daß jetzt Jocelyn für Küche und Haushalt verantwortlich sein sollte, behagte ihm ganz und gar nicht. Verzweifelt ließ er sämtliche Frauen aus der näheren Verwandtschaft vor seinem inneren Auge vorüberziehen. Becky? Nein. Becky würde Peter nicht allein lassen, schon gar nicht jetzt, nach der Sache mit dem Rotkopf. Rose, seine älteste Tochter? Nein, die trennte sich nie von ihrem Mann. Dorothea? Bloß nicht! Das bedeutete: nichts als Fisch und Joghurt zum Essen. Und Bea? Nein, das wollte er sich nicht antun! Sie würde ihn in seinem eigenen Haus herumkommandieren und ihn am Ende auf eine Diät aus Zitronensaft und Salatblättern setzen, mit einem Gläschen Apfelsaft als Sonderzulage am Sonntag. Nein. Ihn schauderte. Es mußte doch jemanden geben, der einen alten Mann nicht verhungern ließ, dachte er voller Selbstmitleid. Aber es gab niemanden. Er hatte es ja immer gesagt: Freunde in der Not...
So weit war John Pentecost mit seinen trüben Gedanken gekommen, als laut und schrill das Telefon klingelte.
Voller Angst und Abscheu hatte Wendy Thompson einen Moment lang auf die zersplitterte Fensterscheibe, die Glasscherben am Boden und den Ziegelstein gestarrt. Dann war sie zitternd ans Telefon gegangen und hatte bei der Polizei angerufen, worauf zwei Beamte erschienen waren, die sich alles angesehen hatten, aber nicht übermäßig beeindruckt schienen, auch nicht, als sie ihnen von dem Vorfall mit dem Motorradfahrer am Fluß erzählt hatte. Als die Polizisten gegangen waren, hatte sie ein Stück Pappe an das Fenster genagelt. Jetzt saß sie in der Küche, die nach hinten hinausging, und horchte angespannt auf jeden Laut. Wie konnte jemand sie so hassen, um ihr das anzutun - selbst wenn der Haß sich nicht so sehr gegen sie persönlich als vielmehr gegen die ganze Menschheit richtete? In der Nacht schlief sie schlecht, und den ganzen Sonntag überlegte sie, ob sie es den Pentecosts mitteilen sollte. Aber vielleicht gab es da gar keine Verbindung, und Mrs. Pentecost dachte womöglich, sie nehme das nur zum Vorwand, um mit Mr. Pentecost zu telefonieren. Andererseits war es vielleicht doch wichtig, daß sie von der Sache erfuhren und sich klarmachten, daß die Drohung noch immer bestand.
Es war nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen. Erst am Abend rief sie an. Sie hoffte, Jocelyn Pentecost werde am Apparat sein.
Aber es war der kleine Junge. Seine Stimme klang aufgeregt: «Hallo - wer ist da? Bist du es, Paps?»
Sie sagte: «Ist da Gaylord? Hier ist Wendy Thompson - du kennst mich doch noch?»
«Ja, natürlich. Ich dachte bloß, es wäre Paps. Er hat nämlich Mummi ins Krankenhaus gebracht.»
«Nein!» Also hatte sie doch zu lange gewartet! «Was fehlt ihr, Gaylord?»
«Sie ist ohnmächtig. Das ist so ähnlich wie tot, aber nicht ganz.»
«Aber wie kam -»
«Schultz hat sie doch umgeschmissen. Da muß sie irgendwo mit dem Kopf aufgeschlagen sein, sagt Paps.»
«Mein Gott, das tut mir schrecklich leid, Gaylord.»
«Ja. Wollen Sie Opa sprechen?»
«Ach ja, bitte.»
Er ging zu Opa hinüber. «Miss Thompson, Opa.»
«Wer ist Miss...? Ah ja, ich erinnere mich.» Eine nette junge Frau. Er ging an den Apparat. «Hier ist John Pentecost, Miss Thompson», sagte er so sanft und honigsüß, wie er nur konnte.
Wendy sagte: «Mr. Pentecost, Gaylord hat mir erzählt... von seiner Mutter. Es tut mir schrecklich leid. Meinen Sie, daß es etwas Ernstes ist?»
«Nun, ich fürchte, sie wird einige Zeit im Krankenhaus bleiben müssen.»
«Das wird sehr schwierig sein für Sie alle. Ist von Ihren Verwandten jemand geblieben, um Ihnen zu helfen?»
«Nein, nein, die waren alle schon abgereist. Und sie sind ja natürlich auch alle irgendwie gebunden.» Sie hörte den Seufzer. «Naja, irgendwie werden wir schon durchkommen. Nur mit den Kindern... vor allem mit dem Baby ist es schwierig.»
«Ja, ich verstehe. Schrecklich. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann -»
Er war tief gerührt. «Nein, liebe Miss Thompson, das kommt gar nicht in Frage. Wirklich furchtbar liebenswürdig von Ihnen. Aber das möchte ich Ihnen nun
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