Lieber Onkel Ömer
Augen.
Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass bei Euch im Dorf ständig die
Kühe, die Ziegen, die Köter – aber niemals die Narren los sind!
Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem nasskalten Alamanya
PS: Lieber Onkel Ömer, mittlerweile wohnt diese fremde Frau Ümmüyanim seit über acht Wochen bei uns und ist natürlich nicht
mehr ganz so fremd. Unter anderem deshalb hatte ich mich ja auch mit Nedim aus dem Staub gemacht. Ich hatte Dir ja im letzten
Brief geschrieben, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken zu mir sagte, dass sie mit Eminanim zusammen in Istanbul Medizin
studiert hat.
Daraufhin fragte ich sie verwirrt:
»Soll das etwa heißen, dass Sie jetzt so was Ähnliches wie ein Arzt sind?«
»Ja, ich bin Allgemeinmedizinerin, genauso wie Ihre Frau |50| Eminanim«, sagte sie wie selbstverständlich. Und es schien für sie wirklich selbstverständlich zu sein. Für Eminanim sogar
auch. Nur nicht für mich!
Ich muss wohl ein sehr dummes Gesicht gemacht haben. Denn Ümmüyanim sagte weiter:
»Herr Engin, Ihre Frau hat mich bereits vorgewarnt, dass Sie eine sehr spezielle Art von Humor haben und etwas begriffsstutzig
sind. Klären Sie mich bitte auf, was jetzt Ihr Problem ist, was haben Sie denn nicht verstanden? Das mit Istanbul oder das
mit der Medizin?«
»Also gut«, sagte ich und nahm meinen ganzen Mut zusammen, »wenn ich ehrlich sein soll, mein Problem ist, dass meine Frau
vor unserer Heirat offenbar ein Doppelleben geführt hat, ohne mir irgendetwas zu sagen. Sie hat sich wohl im tausend Kilometer
entfernten Istanbul mit wildfremden Männern rumgetrieben.«
Die Frau Medizinerin wurde daraufhin richtig sauer, so wie alle anderen Ärzte auch, wenn man deren Rat nicht befolgt und die
Tabletten nicht regelmäßig schluckt.
»Herr Engin, sie war doch nicht zum Vergnügen dort. Ihre Frau Eminanim hat genauso wie ich Medizin studiert und hat zum Schluss
ein erstklassiges Examen abgelegt! Sie müssten eigentlich stolz auf Ihre Frau sein«, rief sie ziemlich tadelnd und schüttelte
verständnislos den Kopf.
»Also, Ümmüyanim, das kapiere ich jetzt noch weniger«, murmelte ich verlegen. »Bis wir damals geheiratet hatten, und gleich
darauf bin ich ja nach Deutschland gefahren, hatte Eminanim angeblich noch keinen Tag ihr Dorf verlassen.«
Daraufhin sagte meine Frau, als wäre es völlig normal:
»Osman, ich wollte doch mein Studium nicht an die große |51| Glocke hängen. Du weißt ja selber, wie schief man als gebildete junge Frau damals in Anatolien angesehen wurde.« Lieber Onkel
Ömer, kannst Du Dich bitte drüben in Eminanims Dorf unauffällig umhören, ob das denn wahr sein kann, dass sie studiert hat.
Ich hoffe, Du kannst diese Frau Ümmüyanim Lügen strafen. Gute Nacht!
Frühlingsanfang
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, Du weißt sicherlich, dass kalendertechnisch gesehen der Frühlingsanfang immer am 20. März ist. Was Du aber
nicht weißt, ist, dass wir hier in Deutschland jedes Jahr auch ein paar Tage Frühling haben. Was Du noch weniger weißt, ist,
dass am Frühlingsanfang alle armen Männer in Deutschland gezwungen werden, mit ihren Frauen im Park spazieren zu gehen. Sei
froh, dass meine liebe Tante Ülkü von dieser albernen Sitte bis jetzt noch nie etwas gehört hat, und das wird hoffentlich
auch so bleiben, solange die Türkei nicht in der EU ist. Aber zum Glück versucht die EU das sowieso mit allen Tricks zu verhindern.
Nein, nicht den Frühlingsanfang in Deutschland, sondern den Beitritt der Türkei zur EU.
»Osman, bist du verrückt, dich bei diesem herrlichen Wetter ins Bett zu verkriechen? Los, hopp, hopp, zieh dich sofort an,
wir gehen jetzt im Bürgerpark spazieren!«, |53| schimpft meine Frau Eminanim dann immer und reißt mir, sobald sich ein paar läppische Sonnenstrahlen blicken lassen, energisch
die Wolldecke weg.
Lieber Onkel Ömer, das müsstest Du sehen: Sobald die Menschen in Bremen diese 3,5 Sonnenstrahlen wahrnehmen, wirkt das auf
die wie ein Startschuss für einen 1000-Meter-Lauf. Danach fahren sie mit ihren Kabrios oder Transits schnurstracks an die
Weser oder
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