Lieber Onkel Ömer

er verschwindet:
    »Ich danke Ihnen für den netten Hinweis, Herr Prizibilsky.«
    Als ich dann aufstand, um mich woanders hinzusetzen, musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich die |59| ganze Zeit auf einem Haufen Hundescheiße gesessen hatte. Meine Hose war total versaut. Diese Köter dürfen aber auch alles!
    Ich zog meine Hose aus und suchte mir etwas weiter weg auf der Wiese ein neues Plätzchen. Die Hunde haben sich dabei nicht
     stören lassen. Nur der Pudel schaute etwas panisch nach rechts und links, als ich meine Hose auszog.
    Der Schäferhund war mittlerweile auf eine Dackeldame geklettert.
    Das sind doch wahre Frühlingsgefühle! Wann schreibt dieser Köter wohl seine Memoiren, der ist ja schlimmer als Boris Becker
     und Franz Beckenbauer zusammen, ging es mir durch den Kopf.
    Kurz danach bewölkte sich der Himmel, und es sah nach einem Gewitter aus. In Bremen kann man sich auf das Wetter halt immer
     noch verlassen.
    Hastig, noch bevor der erste Hagelschauer niederprasselte, sprang ich in meinen Ford-Transit und warf die verschmierte Hose
     auf den Rücksitz.
    Als ich dann auf der Uferstraße an der Weser nach Hause fuhr, sah ich plötzlich meine kleine Tochter Hatice am Fluss entlanglaufen.
     Meine Frau stand an der Böschung und raufte sich die Haare.
    Ich parkte schnell meinen Ford-Transit und lief zum Wasser hinunter.
    »Hatice, was ist denn hier los? Warum läufst du wie ein nasser Straßenköter durch die Gegend?«, fragte ich erschrocken.
    »Papa, Papa, die Oma ist in die Weser gefallen. Sie ertrinkt bestimmt«, rief meine kleine Tochter völlig aufgelöst mit Tränen
     in den Augen.
    |60| Alle Menschen, Deutsche wie Türken, liefen im Regen hektisch flussabwärts, um meine Schwiegermutter zu retten.
    Ich hetzte in meiner Unterhose die Weser flussaufwärts.
    Und rettete kurz darauf den armen Kanufahrer, den meine Schwiegermutter mit einer schnellen Bewegung ins Wasser warf, um sein
     Boot in Beschlag zu nehmen.
     
    Lieber Onkel Ömer, ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die
     erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
    Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
     mit viel Liebe die Augen.
     
    Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass weder die EU noch Deine Schwiegermutter
     sich bei Dir im Dorf blicken lassen, um Dich zu zwingen, zusammen mit Tante Ülkü Frühlingsgefühle auszuleben.
     
    Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem leider nicht mehr ganz so kalten Alamanya

    PS: Lieber Onkel Ömer, Du hast mir geschrieben, dass Du keine Beweise hast, ob Eminanim studiert hat. Aber dass sie nicht
     studiert hat, dafür hast Du auch keine Beweise. Und Du fragst mich, warum sie dann nicht als Ärztin arbeitet |61| , wo ich doch ständig pleite bin? Die Antwort ist, weil sie nämlich gar keine Ärztin, sondern bestenfalls Gärtnerin ist. Aber
     diese Frau Ümmüyanim behauptet immer noch hartnäckig das Gegenteil. Letztens sagte sie zu mir: »Herr Engin, ich bewundere
     Ihre Frau. Sie hat ihre Karriere aufgegeben und sich regelrecht für Sie und die gemeinsamen Kinder geopfert. So was hätte
     ich, ehrlich gesagt, nicht geschafft. Ich bin froh, dass ich mich für den Beruf entschieden habe. Sonst wäre ich nicht in
     den Genuss meiner gut gehenden Arztpraxis mit Bosporusblick gekommen. In einem Viertel, in dem es von Reichen und Schönen
     nur so wimmelt, die für die Behandlung harmloser Wehwehchen ohne mit der Wimper zu zucken ein halbes Vermögen zahlen!«
    »Wenn ich das jetzt so höre, dann tut es mir im Nachhinein natürlich schon ein bisschen um meine Karriere leid und das, was
     ich alles versäumt habe. Aber was tut man nicht alles für die Familie«, sagte Eminanim daraufhin großzügig. »Frau Doktor …
     ich meine, Frau, bist du jetzt wirklich ein richtiger Arzt oder was?«, stotterte ich völlig vor den Kopf geschlagen.
    »Osman, etwas leiser, du weckst sonst die Kinder«, zischte sie und hielt mir einen medizinischen Vortrag: »Meine Kollegin
     Ümmüyanim wird dir sicherlich bestätigen, dass der nächtliche Schlaf für den jungen Organismus von immenser Wichtigkeit ist.
     Der Schlaf dient dazu, das Gelernte zu speichern und die erschöpften Zellen zu regenerieren. Also tu was für deine Gesundheit
     und geh