Lieber Onkel Ömer

in den Bürgerpark, um dort mit dicken Sonnenbrillen, billigen Sandalen, weißen Socken und lustigen Hemden umherzumarschieren.
    »Eminanim, lass mich in Ruhe! Du weißt doch, was für’n Weichei die Sonne aus mir macht«, versuche ich mich dann jedes Mal
     zu wehren und ziehe mir die Decke wieder über den Kopf.
    »Nix da, Osman! Jetzt wird spazieren gegangen! Hier, setz deine Sonnenbrille auf und zieh das rot geblümte Hawaii-Hemdchen
     an, dafür haben wir es doch extra gekauft«, brüllt sie mich daraufhin erfahrungsgemäß an.
     
    Lieber Onkel Ömer, kaum stehe ich in der Sonne, bekomme ich sofort eine grässliche Sonnenallergie: Kribbeln im Bauch, Herzflattern,
     glänzende Augen, ein dämliches Grinsen und eine ganze Reihe anderer alberner chemischer Reaktionen sind die Folgen des schädlichen
     UV-Lichts.
    Seitdem ich in der Zeitung gelesen habe, dass selbst die Mutterliebe nichts anderes ist als eine chemische Reaktion des Körpers,
     ohne die sogar die fürsorglichsten Mütter ihre Kinder gleich nach der Geburt reihenweise bei I-bäy meistbietend versteigern
     würden, bin ich auf Gefühle nicht besonders gut zu sprechen.
    |54| Abgesehen davon habe ich noch nie gerne über Gefühle gesprochen, was immer sehr laute Schimpftiraden meiner Frau nach sich
     zieht. Sie ist der Meinung, ich würde nur Gefühle zeigen und Freudentränen in den Augen haben, wenn mein Fußballverein Werder
     gewinnt.
    Nach stundenlanger Meckerei zwingt mich Eminanim aber in jedem Frühjahr doch noch, in den Bürgerpark zu gehen, und strahlt
     bis über beide Ohren, sobald sie den ersten Vogel sieht:
    »Osman, schau dir doch die beiden Turteltauben da oben auf dem Baum an, ist das nicht romantisch«, ruft sie begeistert und
     zeigt mir irgendwelche zweibeinigen Tiere.
    »Hmmm«, murmle ich lustlos, was aber zum Glück im schrecklich lauten Vogelgezwitscher völlig untergeht.
    »Oh mein Gott, schau mal, die beiden süßen Enten hier am Teich. Hast du gesehen, wie romantisch und glücklich sich die beiden
     unterhalten?«, sagt sie dann euphorisch.
    »Eminanim, ich mag Enten wirklich auch sehr gern, insbesondere wenn sie schön knusprig gebraten worden sind. Abgesehen davon
     ist mein Entisch noch nicht gut genug, um zu verstehen, ob ihre Unterhaltung glücklich ist. Aber die unterhalten sich sowieso
     nicht, die sehen sich die ganze Zeit nur blöd an«, antworte ich wahrheitsgemäß.
    »Osman, endlich ist Frühling, nicht wahr? Ist das hier nicht alles wunderschön? Und schau mal, wie fantastisch grün der Rasen
     schon ist«, trällert sie und hüpft wie ein junges Mädchen über die Wiesen.
    »Frau, was meinst du, warum ich mir die ganze Zeit so gern Fußballspiele angucke; nur wegen des fantastisch grünen Rasens«,
     lasse ich mich von ihrer Freude schon ein bisschen anstecken.
    |55| Eminanim schwärmt ununterbrochen euphorisch über die schon seit Milliarden von Jahren existierende Natur, so als hätte sie
     davon gerade erst in diesem Moment und auf sehr überraschende Weise erfahren.
    »Osman, mein Gott, schau dir diese roten Tulpen an und diese hübschen Gänseblümchen, ich drehe gleich durch!«, dreht sie im
     selben Moment durch.
    »Frau,stell dich doch nicht so an! Das passiert doch schon seit Jahren und wird immer wieder passieren, ob wir hier vorbeigehen
     oder nicht. Das interessiert die Bäume überhaupt nicht,die finden es bestimmt total albern,wie du dich hier als erwachsene
     Frau wegen ein paar Blümchen aufführst«, versuche ich sie wieder zur Vernunft zu bringen.
    Aber es bringt alles nichts, unser halbstündiger Spaziergang endet leider jedes Jahr so, wie auch der letzte geendet hat:
     mit einem großen Krach!
    Sie beschuldigt mich, die jungen Joggerinnen in kurzen Hosen sabbernd angestiert zu haben. Ich werfe ihr vor, dass sie doch
     diejenige war, die mich hierhergeschleppt und brutal gezwungen hat, die Natur anzugucken. Dass es nun mal eine weltbekannte
     Tatsache ist, dass auch hübsche Joggerinnen ein Teil der Natur sind, will sie natürlich nicht einsehen.
    Danach gehen wir mit fünf Meter Entfernung übelgelaunt nach Hause. Die Deutschen denken, meine Frau geht fünf Meter hinter
     mir her, weil sie als türkische Frau nichts zu sagen hat. In Wirklichkeit geht sie aber fünf Meter hinter mir her, weil sie
     zu viel gesagt hat und meine Antwort nicht hören will.
    Ein paar Minuten später kommen wir wieder genau an der Stelle vorbei, wo sie mich vorhin auf die beiden angeblich |56| total verliebten –