Lieber Onkel Ömer
Schaufensterscheiben »kapitalistischer Banken«
kaputt schlagen. Er hatte sich einen riesigen Rucksack voll Steine besorgt und probierte vor dem Spiegel seine tolle Maske,
die er sich aus Eminanims alter fleischfarbener Strumpfhose gebastelt hatte. Er ist halt immer noch ein durch und durch unverbesserlicher
Betonkommunist. Dabei hatten Eminanim und ich uns vor zwei Monaten unglaublich gefreut und gedacht, dass er endlich angefangen
hat, aus seinem erbärmlichen Leben doch noch etwas Vernünftiges zu machen.
Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Meine Frau kam völlig aufgeregt mit einer sensationellen Nachricht zu mir ins
Wohnzimmer gerannt:
»Osman, Osman, ich freue mich wahnsinnig! Unser kleiner Mehmet wird bald so weltberühmt wie meine heißgeliebten Wildecker
Herzbuben sein«, rief sie und war total aus dem Häuschen.
»Wie soll das denn gehen?«, wunderte ich mich. »Kommt der etwa ins Guinnessbuch der Rekorde als der ewigste Student aller
Zeiten?«
»Nein, was viel Besseres! Unser Sohn übt für ›Deutschland |90| sucht den Süperstar‹. Mein Mehmet geht endlich in die Welt der Reichen und Schönen hinaus«, schrie sie gut gelaunt und bis
über beide Ohren strahlend.
»Wohin er geht, ist mir völlig egal! Hauptsache, er zieht hier endlich aus!«, sagte ich nicht minder gut gelaunt. Ich hatte
nämlich die Hoffnung, dass der Kerl irgendwann doch noch auszieht, schon längst aufgegeben.
Lieber Onkel Ömer, ›Deutschland sucht den Süperstar‹ ist eine Sendung im Fernsehen, bei der irgendwelche nichtsnutzigen Jugendlichen
auf die Bühne gestellt und von nicht weniger nichtsnutzigen Jurymitgliedern benotet werden, wobei sie von noch nichtsnutzigeren
Menschen mehrere Stunden lang angeglotzt werden.Diese Schow war also genau das Richtige für Mehmet.
»Eminanim, sag Mehmet, dass ich ihm mit meiner langjährigen Erfahrung als großer Künstler erzählen will, worauf er im Rampenlicht
achten soll«, sagte ich dann als fürsorglicher Vater, damit er nicht sofort scheitert und wieder angedackelt kommt.
»Osman, lass das! Denkst du, mein Junge rackert sich ab, um irgendwann mal Schlosser in Halle 4 zu werden?«, rief Eminanim
wie immer undankbar bis zum Anschlag.
»Frau, Frau, ich meine doch meine gefeierten Auftritte bei allen türkischen Hochzeiten hier in der Gegend. Jedes Mal gegen
Ende der Feier werde ich auf die Bühne gebeten, weil alle Gäste meine Lieder hören wollen«, sagte ich mit einer gehörigen
Portion Stolz in der Stimme.
»Osman, du kletterst doch immer selber rauf, und die Leute sind schon so sturzbesoffen, dass sie es nicht mehr schaffen, dich
von der Bühne runterzuschmeißen«, sagte die Kulturbanausin mir unverschämt ins Gesicht und beobachtete |91| mit strahlenden Augen durch die halboffene Tür, wie ihr nichtsnutziger kommunistischer Sohn in seinem Zimmer vor dem großen
Spiegel ständig auf und ab ging und irgendwelche schwachsinnigen Lieder trällerte.
Mit meinem geschulten Auge und Ohr erkannte ich sofort, dass mit dem Lied keine Blumenerde zu gewinnen war, geschweige denn
ein ganzer Blumentopf. Daraufhin habe ich Mehmet gleich aus dem Stand ein wirklich tolles türkisches Lied vorgesungen:
»Mehmet, hör mal zu, mein Junge, jetzt singt der Meister:
Meine Leber brennt,
Mein Herz blutet,
Du hast mir ins Gehirn geschossen
!«
»Vater, was soll denn dieser blöder Spruch aus heiterem Himmel? ›Leber brennt, Herz blutet, ins Gehirn geschissen?‹«, fragte
der ahnungslose dämliche Hund. Ich verbesserte ihn:
»›Ins Gehirn geschossen‹ heißt das, mein Sohn, nicht geschissen! Kennst du etwa dieses tolle türkische Lied denn nicht:
Ciğerim yanıyor,
Yüreğim kanıyor,
Beynimden vurdun beni
!
Du musst unbedingt so was Gefühlvolles singen, wenn du ein Süperstar werden willst.«
»Vater, ich hab wirklich keine Ahnung, was du jetzt von mir willst!«, jammerte er.
»Mehmet, ich will dir doch nur helfen. Aus meinem reichhaltigen Repertoire als Bühnenkünstler kann ich dir sofort aus dem
Handgelenk ein paar Hits anbieten, um bei |92| der Sendung als Sieger hervorzugehen. Was hältst du zum Beispiel von Müslüm Baba:
Of oof oooff,
Hasta ettin sen beni, seni kansız seni,
Senin de vicdanın yokmus¸, seni imansız seni,
Kan kusturdun sen bana,
Ölsen acımam sana
!«, sang ich ihm noch ein tolles Lied vor.
»Vater, ich verstehe die ganze Zeit nur Bahnhof! Was für’n Baba? Wer ist tot? Muss ich den Toten etwa
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