Lieber Onkel Ömer
noch bevor ich mit meinen Kindern wieder hierherkommen konnte, waren Sie jedes Mal mit Ihren Blagen schon da und haben alle
unsere Eier eingesammelt. Kurz danach haben Sie die Dinger sofort mit Salz und Pfeffer runtergewürgt, während Sie mit Ihren
Freunden Bäckgämmen gespielt und an der Hammelkeule geknabbert haben.«
»Aber Herr Nöllemeier, was erzählen Sie denn da?«, sagte ich entsetzt. »Jedes Kind weiß doch, dass diese bunten Eier vom Osterhasen
gebracht werden!«
»Nein, Herr Engin, die habe ich immer selber hier im Park versteckt«, rief er aufgebracht und war sich nicht mal bewusst,
was für eine große Sünde er sich damit aufgeladen hatte.
Damit er nicht ausgerechnet am Tag der Auferstehung das Ticket in die Hölle bekam, habe ich ihn beschwichtigt und gerufen:
»Machen Sie sich nichts daraus, Herr Nöllemeier, ich |84| denke, Sie sind nur einem kleinen Irrtum verfallen. Unsere Eier waren bestimmt nicht von Ihnen, das kommt Ihnen jetzt nur
so vor. Was meinen Sie wohl, woher der Spruch ›wie ein Ei dem andern ähneln‹ kommt?«
»Ich wünsche Ihren Kindern lustiges Suchen und Ihnen frohe Ostern«, rief er spöttisch und verschwand mit seinen Blagen, die
viele schöne, bunte Ostereier in ihren Körben mit sich trugen.
»Herr Nöllemeier, erzählen Sie das bloß nicht weiter, dass Sie sich höchstpersönlich für den Osterhasen halten«, habe ich
ihm hinterhergerufen. »Welcher Mensch würde denn von einem geisteskranken Menschen noch Zigaretten oder Zeitungen kaufen?
Auch wenn Sie sich dafür halten und manchmal auch so aussehen – der Osterhase sind Sie bestimmt nicht!«
Ich weiß nicht, ob es ein böser Zufall war, aber gestern haben meine Kinder tatsächlich trotz intensivster Suche bis tief
in die Nacht kein einziges Ei gefunden. Nicht mal eine Eierschale. Diese Diebe von Nachbarn haben sogar unsere Eier mitgenommen!
Und damit natürlich auch unser Essen für die nächsten vierzehn Tage! So entstehen Glaubenskriege!
Lieber Onkel Ömer, ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die
erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
mit viel Liebe die Augen.
|85| Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass es bei Euch im Dorf nur vierbeinige
Eierdiebe gibt.
Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem kalten Alamanya
PS: Lieber Onkel Ömer, gestern gab Eminanim meiner hartnäckigen Fragerei endlich nach und erzählte mir auf dem Rückweg von
unserer vergeblichen Eiersuche, warum sie bisher nie ihr Studium erwähnt hatte. Sie sagte wortwörtlich: »Osman, als du vor
dreißig Jahren in mein Leben getreten bist, hattest du noch schrecklichere Minderwertigkeitskomplexe als heute. Du hast dir
ständig Vorwürfe gemacht, dass du bis dahin nichts auf die Reihe gekriegt hast, und du hast permanent gestöhnt, dass du ein
totaler Versager bist und dass selbst der Esel Tarzan von deinem Onkel Ömer auf mehr Erfolge zurückschauen kann als du. Du
hast deshalb Tag und Nacht davon geträumt, endlich nach Deutschland zu fahren, um dort reich und berühmt zu werden. Du hattest
vor, dann das ganze Dorf aufzukaufen und die dämlichen ›Parasiten‹, wie du sie genannt hast, die dich permanent verarschten,
zu verjagen. Was sollte ich denn machen? Wenn ich dir erzählt hätte, dass deine zukünftige Ehefrau Doktor der Medizin ist,
hättest du dich oder mich am nächsten Baum aufgehängt. Damals hätte ich beides nicht so toll gefunden! Heute könnte ich mich
mit einer dieser Varianten durchaus anfreunden! Zwing mich bitte nicht, zu offenbaren mit welcher!«
So, lieber Onkel Ömer, schlaf gut, wenn Du noch kannst!
Tag der Arbeit
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, was Arbeit ist, das weißt Du ja zur Genüge, schließlich schaust Du seit Jahren den ganzen Tag genau zu,
wie meine Tante Ülkü von morgens bis abends im Haus und auf dem Feld schuftet. Gut, gut, Du arbeitest natürlich auch
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