Lieber Onkel Ömer
Kind kreischend hin und her zu rennen und rumzuhüpfen.Ich schlug sogar drei
Purzelbäume hintereinander und kam zum Glück kurz vor den meterhohen Brennnesseln zum Stehen.
|130| »Osman, bist du verrückt geworden, sei endlich etwas leiser, benimm dich doch, du störst die ganzen Nachbarn«, schimpfte meine
Frau.
Aber es war schon zu spät, die ganzen besagten Nachbarn hatten sich bereits alle um unseren Gartenzaun versammelt und glotzten
mich sehr neugierig an. Die waren mir auf Anhieb total sympathisch. Die strahlend warme Sonne in unserer herrlich ruhigen
Oase hatte denen eine hübsche, knackigbraune Gesichtsfarbe verpasst. Die sahen überhaupt nicht mehr so aus, als gehörten sie
der Crème de la Crème der deutschen Gesellschaft an. Wegen der dunklen Hautfarbe sahen meine neuen deutschen Nachbarn eher
wie Türken aus.
Dann stellten sie sich uns alle höflich der Reihe nach vor:
»Ich heiße Tosun, willkommen bei uns, Nachbar«, schmatzte der Erste mit einer Riesenportion Döner in der Hand und betrat umgehend
und ungebeten meinen Garten. Die herrliche Sonne und die himmlische Ruhe hatte sie wie Südländer auch noch völlig zwanglos
gemacht. »Ich heiße S¸ükrü, Prost, Nachbar«, rief der Nächste und drückte mir eine Flasche eiskaltes Bier in die Hand. Mevlüt,
Ismail, Keçici, Rüstem, Mustafa, Gülnur, Rukiye, Dudu, Parmaksiz, S¸akir, Rüs¸tü, Cemile, Hayriye, Türkan, Cemal, Faruk usw.
hießen die anderen.
Aber war das denn die Möglichkeit? Konnte denn die herrliche Sonne und die himmlische Ruhe auch deren Namen türken, ich meine,
türkisch klingen lassen? Eine richtig brennende, knallheiße, mehrere Monate scheinende Sonne könnte mit viel Mühe vielleicht
aus einem Hans schon einen Hasan machen, aber woraus sollten denn Rüs¸tü und Parmaksiz entstanden sein, bitte schön?
|131| Die herrliche Sonne und die himmlische Ruhe hatte nur bei zwei von meinen neuen Nachbarn keine Wirkung gezeigt. Die beiden
hießen immer noch Wladimir und Igor!
»Osman, siehst du, wie tolerant unsere neuen türkischen Nachbarn sind? Die haben sogar zwei Russen aufgenommen«, zwitscherte
meine Frau höchst vergnügt.
»Wie? Was soll das heißen, unsere neuen türkischen Nachbarn haben Russen aufgenommen? Ist das etwa keine deutsche Kleingartenkolonie?«,
fragte ich total schockiert.
»Natürlich nicht! Hast du schon mal einen Deutschen gesehen, der mit der einen Hand Wasserpfeife raucht, mit der anderen Hand
Kürbiskerne knabbert und die Schalen einfach auf den Boden spuckt?«, lachte Eminanim fröhlich.
»Frau, du hast recht! Das sind wirklich alles Türken, verdammt! Aber wie soll ich denn so jemals in die Mitte der deutschen
Gesellschaft springen, kannst du mir das mal erklären? Was soll ich denn mit türkischen Nachbarn, davon habe ich im Karnickelweg
7b schon genügend«, jammerte ich. In meinem Kopf drehte sich alles, als hätte ich einen hübschen Sonnenstich bekommen.
»Osman, bist du bescheuert«, rief sie verständnislos, »natürlich sind das Türken. Was sollen die denn sonst sein, Neandertaler
etwa? Denkst du, die Deutschen würden dir erlauben, dich ihrer Kleingartenanlage auch nur zu nähern, geschweige denn da eine
Parzelle zu pachten?«
»Aber wir hätten sie doch den ganzen Sommer bestimmt nicht mal gesehen! Im Gegensatz dazu trampeln mir die Türken gleich am
ersten Tag meinen Rasen kaputt und werden dabei auch noch von Russen unterstützt«, heulte ich weiter.
|132| »Osman, ich bin nicht mal auf die Idee gekommen, in einer deutschen Kleingartenanlage auch nur anzufragen. Was soll ich denn
da? Bei den Deutschen dürfen wir nicht grillen, die Kinder dürfen nicht spielen, man darf nicht laut lachen, geschweige denn
Hochzeiten und Beschneidungsfeste von Freunden feiern.Du müsstest jeden Tag den Rasen auf die vorgeschriebene Länge rasieren
und, was das Schlimmste für dich wäre, du dürftest auf der Parzelle nicht mal deinen Ford-Transit waschen! Aber wenn du dich
hier weiterhin wie ein Irrer benimmst, werden uns die Türken auch noch aus unserem neuen Garten werfen!«, schimpfte Eminanim.
Lieber Onkel Ömer, vor lauter Trauer sitze ich seit Tagen nur auf der hinteren Seite unseres Kleingartens und versuche mich
durch Kennzeichenmerken von dieser herben Enttäuschung abzulenken. Ab und zu sehe ich auch vorbeifahrende Ford-Transits, die
auf meine tief verletzte Seele wie heilender Balsam wirken. Ich befürchte, dass ich in unserer
Weitere Kostenlose Bücher