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Lieber Onkel Ömer

Titel: Lieber Onkel Ömer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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»Scheiß-Ausländer« zu ihr sagen sollte, könnte sie einfach antworten: »Selber Kanake!«
    Aber zurück zu den Zeugnissen. Ich war gestern gar nicht mehr so aufgeregt, als ich gewartet habe, dass Hatice endlich mit
     sehr gute Laune und hoffentlich noch besserem Zeugnis nach Hause kommt, denn als verantwortungsvolle Eltern hatten wir unsere
     Aufgaben ja auf jeden Fall bestens erledigt. Wenn ich daran denke, was für panische Angst ich immer früher hatte, als ich
     voller Ungeduld und mit klopfendem Herzen auf Mehmet und seine Zeugnisse warten musste, wird mir jetzt noch schlecht.
     
    Lieber Onkel Ömer, Du weißt sicherlich noch, dass mein fauler, kommunistischer Sohn Mehmet, als er vor fünfzehn Jahren noch
     zur Hauptschule ging, kein fauler Kommunist war wie heute, sondern er war nur faul!
    Wie alle fürsorglichen Väter hatte ich damals den dringenden Wunsch, dass mein Sohn es später mal besser haben sollte als
     ich. Ja, dass er mich bildungsmäßig sogar übertreffen müsste. Unser Mehmet sollte wenigstens die Hauptschule beenden!
    Also kniete ich mich rein, erklärte Mehmets Schulnoten zu meiner ganz persönlichen Ehrensache und startete eine beispiellose
     Bildungsoffensive.
    |140| Jeden Tag, wenn ich von Halle 4 zurück war, bin ich so lange nicht zum Kartenspielen gegangen, bis ich Mehmets Hausaufgaben
     erledigt hatte.
    Dann endlich kam der große Tag, an dem ich meine erste Schulnote in Deutschland bekommen sollte. Mehmet, beziehungsweise wir,
     mussten nämlich unsere erste Klassenarbeit im Fach Mathematik schreiben. Ich war total aufgeregt! Aus dem Grund nahm ich in
     Halle 4 eine Woche Urlaub und ging mit Mehmet ins Träningslager. Er musste dabei aufmerksam zugucken und sich merken, wie
     ich seine Hausaufgaben erledigte.
    Meinen Eilantrag, als Tiimschef von Mehmet zusammen mit ihm die Schulbank drücken zu dürfen, hat der Bildungssenator in zweiter
     Instanz zurückgewiesen. Ich wurde als Träner regelrecht auf die Tribüne verbannt. Ich durfte nicht mal irgendwo im Klassenzimmer
     in der Ecke rumhocken.
    Ich verstand den Sinn dieser Entscheidung nicht, Mehmets Hausaufgaben machen durfte ich, aber seine Klassenarbeit schreiben
     durfte ich nicht! Aber so sind halt die bescheuerten Schulgesetze in Deutschland. Pisa lässt grüßen!
    An dem Tag, als Mehmet seine erste Schulnote nach Hause bringen sollte, waren wir alle völlig aus dem Häuschen. Das war unsere
     erste Mathematik-Arbeit in diesem neuen Land. Ich hatte auch meine Arbeitskollegen, Hasan, Nedim und Ahmet, eingeladen, dabei
     zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird.
    Dann kam Mehmet angerollt und wunderte sich über den roten Teppich, den ich für ihn ausgerollt hatte. Und ich wunderte mich
     über die erbärmliche Note, die er sich traute, über diesen Teppich nach Hause zu bringen. Ich |141| wurde roter als der dunkelrote Teppich! Ich kochte vor Wut!
    »Mehmet, du Idiot! Das kann doch nicht wahr sein! Wie kannst du es wagen, mir mit der schlechtesten Note aller Zeiten unter
     die Augen zu treten und dabei so blöd zu grinsen?«, brüllte ich schockiert.
    »Papa, was hast du denn, ich habe alle Aufgaben gelöst«, stotterte er.
    Hasan, Nedim, Ahmet und ich haben seine Klassenarbeit sofort kontrolliert. Als Erster erfasste Nedim die unfassbare Situation:
    »Osman, der Junge hat wirklich alle fünf Fragen richtig beantwortet! Das ist ein klarer Fall von Ausländerfeindlichkeit!«,
     schrie er stinksauer. Sogar Nedim konnte damals bis fünf zählen.
    Total wütend sind wir alle gemeinsam zu Mehmets Schule gelaufen, um dem Mathematiklehrer zu zeigen, wo der Hammer hängt.
    »Schön, dass Sie da sind, Herr Engin. Ich gratuliere Ihnen, Ihr Sohn hat die beste Arbeit in seiner Klasse geschrieben«, begrüßte
     uns der Lehrer gut gelaunt.
    »Aber er hat die schlechteste Note bekommen, was soll der Blödsinn?«, brüllte ich.
    »Wieso schlechteste Note? Ich hab Ihrem Sohn doch eine Eins plus gegeben!«, grinste er hinterhältig.
    »Eben! So eine Frechheit! Noch eine schlechtere Note gibt’s doch nicht mehr! Da hätten Sie ja gleich eine Null minus geben
     können!«, konterte ich.
    »Papa, du hast ja wirklich von nichts ’ne Ahnung! In Deutschland ist die Eins die beste Note. Nur in der Türkei ist es umgekehrt«,
     lachte sich Mehmet über meine Unwissenheit |142| kaputt und blamierte mich restlos vor dem Lehrer.
    »Wieso hast du mir das nicht schon zu Hause gesagt?«, rief ich total böse.
    Lieber Onkel Ömer, an dem Tag erlebten

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