Lieber Onkel Ömer
Mehmet und Deutschland eine echte Premiere: nämlich eine satte Tracht Prügel für eine
Eins plus. Die Lektion hat er aber gut gelernt! Der ewige Student hat in seinem Leben nie wieder eine Eins geschrieben! Eine
Zwei und Drei auch nicht, wahrscheinlich, um kein Risiko einzugehen.
Hatice hat aber gestern auch keine guten Noten mit nach Hause gebracht – allerdings auch keine schlechten. Sie wurde mit einem
blitzblanken Zeugnis wieder zurückgeschickt. Ich hab sofort in der Schule angerufen und gefragt, warum sie sich nicht mal
die Mühe gemacht haben, meiner Tochter ein paar schäbige Noten zu geben. Das wäre ja wirklich nicht zu viel verlangt, sagte
ich, wenn sie sich schon von meinen Steuern so ein schönes Leben machten.
Die ersten Klassen werden noch nicht benotet, sagte mir ihre Lehrerin Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart, angeblich, weil
sie noch zu klein sind.
Bei Allah, wie kann ein Mensch – insbesondere ein Türke – unter diesen Bedingungen lernen, sich anzustrengen, wenn er dafür
weder Zuckerbrot noch Peitsche bekommt, frage ich Dich?!
Lieber Onkel Ömer, ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die
erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
|143| Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
mit viel Liebe die Augen.
Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass unser Dorffrisör Ibrahim Dir
Lesen und Schreiben beigebracht hat. Aber jemand sollte ihm endlich Haareschneiden beibringen. Vor lauter Schafescheren hat
er vergessen, wie man Menschen frisiert. Er sagt immer, keines von unseren Schafen hätte sich jemals beschwert. Das mag sein,
aber ich beschwere mich hiermit offiziell! Ich sehe nämlich immer noch wie Deine schwarz gepunktete Ziege Fatima aus!
Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem schwülen Alamanya
PS: Lieber Onkel Ömer, das Wichtigste zuerst: Meine Frau Eminanim und diese Frau Ümmüyanim sind noch beide hier bei mir im
Karnickelweg 7b. Bevor Du mir also noch eine dritte Frau schickst, müssen wir einiges dringend klären:
Wer von den dreien wird in Zukunft kochen?
Wer wird morgens mein Frühstück vorbereiten?
Wer wird sich um die Kinder kümmern?
Wer wird im Ford-Transit neben mir vorne sitzen?
Wer wird mit mir schlafen … öhm … schlaf gut! Gute Nacht!
Urlaubssaison
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, was Urlaub ist, das weißt Du ja. Urlaubmachen bedeutet auf Türkisch »Gurkensammeln«. Deshalb kommen wir
jedes Jahr im Sommer mit unserem Ford-Transit und vielen Koffern mit Geschenken zu Euch ins Dorf, um von meiner Tante Ülkü
zum Gurkensammeln auf dem Feld verdonnert zu werden.
Nach vier Wochen Gurkenernte schießen mir natürlich die Tränen in die Augen, wenn wir wieder wegfahren müssen. Einige böse
Zungen behaupten zwar, dass dies Freudentränen wären, weil wir endlich die bescheuerten Sisyphos-Gurken (wir sammeln, wir
sammeln, wir sammeln vier Wochen lang, und wenn wir nach einem Jahr wiederkommen, sind die ganzen Millionen Gurken auch schon
wieder da) los sind, aber in Wirklichkeit sind es Trauertränen, weil wir unser Dorf und Euch wieder für ein Jahr verlassen
müssen – ich schwör’s Dir!
In Alamanya ist aber alles anders; hier sammelt man im |145| Urlaub nicht, wie jeder normale Mensch, Gurken auf dem Feld von Tante oder Onkel, sondern fährt an die Nordsee und stapft
stundenlang durch den ekelhaft kalten Schlamm, den die unhöfliche Nordsee am Strand als Souvenir für die Touristen zurückgelassen
hat.
Die Nordsee ist nämlich kein Meer wie jedes andere. Sie haut alle paar Stunden ab und lässt die armen Menschen, die sie besuchen
wollen, auf dreckigem Matsch sitzen. Du kennst das ja mit der deutschen Gastfreundlichkeit. Der respektlose Mehmet meint,
es wäre nicht schlecht, wenn die ganzen Gurken bei uns im Dorf auch weniger gastfreundlich wären und immer von alleine verschwinden
würden, wenn wir im Sommer zu Besuch kommen.
Lieber Onkel Ömer, bitte
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